Von dem Fegfeuer.
Zwei und zwanzigster Gesang.

Übersicht

Inhalt.

Die Dichter gehen in Gesellschaft mit den Teufeln durch den Abgrund der Betrüger fort, und sehen, wie einer von den Verdammten daselbst von ihnen gefangen wird. Dieser redet mit dem Virgilius, und findet eine feine List, wodurch er den Klauen der Teufel entwischet, die über dergleichen Streich ganz verwirrt werden. Und unterdessen setzen die Dichter ihren Weg weiter fort.

Ich habe doch ehedem gesehen, wie schwere Cavallerie zu Felde zieht, wie sich ihr Kriegssturm anhebt, wie sie ihre Musterung hält, und wie sie zuweilen zu ihrer Rettung die Flucht nimmt. Ich habe leichte Truppen, und zwar auf euren Feldern, o! Aretiner, herumstreifen, fouragieren reiten, scharmüzeln sehen. Ich habe Turnierrennen und Ritterspiele, und alle diese Aufzüge, bald unter dem Klange der Trompete, bald unter dem Schalle der Glocken, bald unter Rührung der Trommel, bald unter Rauch und Feuer auf festen Höhen, und mit andern bei uns und unter Fremden üblichen Sachen begleitet gesehen. Allein unter einer so seltsamen Feldmusik, als dieß Commando fortzog, so habe ich doch noch nie weder Reuterey, noch Fußvolk, noch ein Schiff, das Land oder den Nordstern erblickt, fortziehen sehen.

Wir giengen also mit den zehn Teufeln fort. Grausame Gesellschaft! Jedoch, in der Kirche muß man es mit den Heiligen, und in der Hölle mit den Teufeln sich gefallen 153 lassen. Mein ganzer Sinn stand blos auf den Pechfluß, um nur die völlige Beschaffenheit des Abgrundes, und des Volks, welches darinnen gesotten wurde, recht in Augenschein zu nehmen.

So wie Delfine zu Zeiten den Schiffern mit ihrem erhabenen Rücken ein Zeichen geben, daß sie auf die Rettung ihres Schiffs bedacht seyn sollen - eben also zeigte bisweilen, wie zu Erleichterung der Strafe, dieser und jener von den Sündern seinen Rücken hervor, den er jedoch, und geschwinder, als ein Blitz, wieder verbarg. Und wie an dem Ufer eines Wassergrabens die Frösche blos mit der Schnauze herausstehen, und die Füsse und den übrigen Leib verborgen halten - in eben solcher Stellung befanden sich da die Sünder auf allen Seiten.

Allein so bald Barbariccia sich näherte, so zogen sie sich so fort unter die Pechwellen wieder hinunter. Jedoch einen sah ich, und wofür mein Herz mir noch zittert und aufs neue sich entsetzet, der also in dieser Lage verzog, so wie es zuweilen kömmt, daß ein Frosch zurück bleibt, wenn die andern forthüpfen. Und Graffiacan, der ihm vorzüglich zuwider war, hakte ihm in die mit Pech durchfloßnen Haare, und zog ihn, wie eine Fischotter, herauf. Ich wußte schon die Namen von allen, so gut hatte ich mir sie gemerkt, da sie ausgesondert wurden, und wenn sie sich hernach einander riefen, so war ich sehr aufmerksam auf ihre Benennungen. O! Rubicante, schrieen alle die verfluchten Henker zugleich, eile, und greif ihn so mit den Nägeln ein, daß du ihm das Fell mit abziehest. Da sagte ich: Mein Lehrer, siehe zu, wenn du kannst, daß du erfahrest, wer der 154 Unglückliche sey, der hier in die Hände seiner Feinde gerathen ist.

Mein Führer machte sich zu ihm auf der Seite hin, und fragte ihn, wo er her wäre. In dem Königreiche Navarra, antwortete er, ward ich gebohren. Meine Mutter brachte mich als Bedienten zu einem Herrn. Denn sie hatte mich mit einem Nichtswürdigen erzeuget, der sich und das Seinige lüderlich zu Grunde gerichtet hatte. Hernach kam ich bey dem gütigen König Theobald in Diensten. Hier legte ich mich darauf 088, Betrügereyen zu spielen, wofür ich nunmehr in diesem heissen Kessel büßen muß. So fort gab Ciriatto, dem, wie einem Eber, auf jeder Seite ein Hauer aus dem Rachen herausstand, ihm zu empfinden, wie ein solcher einhauet. Die arme Maus war unter böse Katzen gerathen. Doch Barbariccia hielt ihn fest mit den Armen 155 geschlossen, und sagte: Bleib da zurück, bis ich ihn werde aufgegabelt haben. Und nachdem er sich zu meinem Lehrer mit dem Gesichte gewandt hatte, sagte er zu ihm: Frage ihn noch, wenn du weiter was von ihm zu wissen verlangst, ehe ihn die andern vollends zu Grunde richten. Daher sprach mein Lehrer zu ihm: Nun so sage uns doch, wer die andern Verdammten seyn. Kennst du nicht einen Lateiner, der unter dem Peche sich befindet? - Nur vor kurzem, war seine Antwort, gieng ich von einem weg, der sich da in der Nähe befand. O! läge ich nur noch, so wie er, verdeckt, so dürfte ich itzt weder Klauen, noch Haken befürchten! Wie lange sollen wir noch zusehen, fing nun Libiocco an, und faßte ihm mit dem Haken in den Arm, und rieß mit aller Gewalt zu, und ein Stück davon mit hinweg. Auch Dragingazzo wollte unten von den Beinen etwas wegreissen, daher sich ein Officier ganz herumwandte, und ein sehr zorniges Gesicht dazu machte. Als sie wieder in etwas befriediget waren, that mein Führer ohne Verzug an ihn, der seine Wunde noch besah, die Frage: Wer war denn der, von dem du nur eben sagtest, daß du so unglücklicher Weise weggegangen, und dadurch gemacht hast, daß du hier aufs Ufer gekommen bist? Der Frater Gomita, antwortete er, der, von Gallura, war es, ein Ausbund aller Betrügereyen, der die Feinde seines Herrn 089 in seinen Händen hatte, und es doch so zu machen wußte 156 daß mit seinem Betragen gegen sie ein jeder von ihnen sich noch rühmte. Er nahm Gelder von ihnen, und ließ sie, so wie er sagt, wieder auf freyen Fuß. Und bey Vergebung der Aemter und Stellen spielte er die Rolle keines geringen, sondern eines Hauptbetrügers. Michael Zanke von Logodoro 090 geht mit jenem Herrn sehr vertraulich um, und wenn sie anfangen, von Sardinien zu reden, so werden ihre Zungen niemals müde. - Aber ach! o seht doch, wie der andre nun die Zähne herweist! Ich wollte eben noch sagen - aber ich befürchte, er rüste sich schon, mich vollends zu zerfleischen. Geh auf die Seite, du böser Raubvogel, sagte der große Corporal, indem er sich zu dem Farfarello wandte, dem schon die weit aufgesperrten Augen zum Angriffe im Kopfe herumgiengen. Wenn ihr, so fing hierauf der Erschrockene wieder an, wenn ihr etwa Toskaner oder 157 Lombarder zu sehen oder zu hören verlangt, so will ich einige kommen lassen, woferne nur die Malebranken sich ein wenig ruhig verhalten wollen, damit sich die Furcht vor ihrem Grimme bey jenen erst wieder verliere. So will ich, selbst auf dieser Stelle, wo ich mich itzt befinde, durch einen, den ich weiß, sieben andre kommen lassen. Denn ich darf nur pfeifen, so wie unser Gebrauch ist, und wie wir es da machen, wenn einer zum Vorschein kömmt. Bey diesem Einfalle und Vorschlage warf Cangazzo die Schnauze auf, schüttelte den Kopf und sagte: Welch eine Bosheit, die er blos erdacht hat, sich wieder hinunter zu stürzen! Der aber, der an betrüglichen Ausflüchten unerschöpflich reich war, antwortete: Die Bosheit von mir ist freylich zu groß, daß ich das Schicksal meiner Mitbrüder noch trauriger, als das Meinige, machen will. Alikin brach hier, wider Willen der andern, mit diesen Worten heraus: Siehe, sagte er zu ihm, wo du dich hinablässest, so will ich dir, nicht blos in völligem Galopp, nein, in völligem Fluge, will ich dir auf dem Pechflusse nacheilen. Man lasse also die Anhöhe frey, und das Ufer sey das Schild, wohinter wir stille seyn, und doch sehen wollen, ob du einziger mehr vermagst, als wir alle.

O! mein Leser, itzt wirst du ein neues Stück spielen sehen. Ein jeder wandte die Augen nach der andern Seite zu, und zwar der zuerst, der vorzüglich grausam war, dieses geschehen zu lassen. Der Navarreser nahm seinen Zeitpunkt wohl in Acht, setzte die Füße fest auf die Erde, that mit einem Male einen Satz, und entsprang ihrem Vorhaben gleichsam aus den Händen. Ein jeder war über diesen Streich ganz beschämt und bestürzt, und der insbesondre, der mit seinen Reden 158 Schuld an diesem Fehler war, daher er auch aufsprang und ihm zuschrie: Du bist gefangen. Allein das half wenig. Denn die Flügel waren nun bey weitem nicht so geschwind, so geschwind nun die Furcht den Betrüger machte. Jener gieng unter, und dieser erhob im Fluge seine Brust von der Oberfläche in die Höhe. So taucht sich plötzlich der Wasservogel, wann der Falke sich nähert, hinunter, und so steigt dieser ganz traurig und verstört, wieder in die Höhe zurück. Calcabrina, entrüstet über diesen Streich, flog dicht hinter ihm her, und wünschte 091 nichts mehr, als daß jener davon kommen möchte, damit er sich an diesem sich rächen könnte. Kaum hatte jener Betrugspieler sich gänzlich verloren, so wandte dieser seine Klauen wider seinen Cameraden, und gerieth mit ihm über dem Graben in einen gewaltigen Streit. Allein der andre war gewiß, so wie er diesen gleichfalls mit den Klauen faßte, ein ganzer, und in Griffen wohl erfahrner Sperber; jedoch am Ende fielen sie alle beide mitten in den siedenden Pfuhl. Das heisse Pech brachte sie nun plötzlich aus einander, 159 aber sich in die Höhe zu bringen, war keiner vermögend, so sehr hatten sie ihre Flügel besudelt.

Barbariccia, der mit seinen übrigen Leuten, betrübt über diesen Zufall, da stand, ließ jedoch Viere davon auf der andern Seite mit allen Haken und geschwind gnug abfliegen. Sie kamen disseits und jenseits herunter, und warfen ihre Haken nach den mit Pech überzogenen, zu, die aber schon bis unter der Haut ganz gesotten waren. Und in solcher Verlegenheit und Verwirrung also, verließen wir sie.

Drey und zwanzigster Gesang

Anmerkungen: 

H088 Dieser Navarreser hieß Ciampolo, wurde am Hofe des Königs von Navarra Liebling eines Freyherrn, und bediente sich dieses Vorzugs dazu, daß er mit Aemtern und Bedienungen einen gewinnsüchtigen Handel trieb. Dergleichen Ciampoli und Lieblinge sind die Pest und der Untergang der rechtschaffenen Welt. Wie mancher geschickter und würdiger Mensch wird damals von diesem Ciampolo, bey Gelegenheit einer Beförderung, auf eine sogenannte politische Art abgewiesen worden seyn! Und wie viele schlechte Kreaturen wird dieser Niederträchtige nicht befördert und versorgt, und wie ungerecht, wie trotzig und sich stolz brüstend werden diese gegen die armen Unterthanen und gegen manchen verdienstvollen Mann nicht sich bezeigt haben! - Welch ein Unterschied zwischen den damaligen und unsern Zeiten!
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H089 Dieser Herr war der President Nino von Gallura, bey dem der Pfaffenkopf in großen Gnaden stand, der aber endlich diesen Gerechtigkeitsschänder und untreuen Bösewicht am Galgen aufknüpfen ließ. Nachahmungswürdiges Verfahren!

Gott hebt den Bösewicht, eh ihn sein Donner stürzt:
Mit Reichtum straft er ihn, der seine Jahre kürzt,
Der ihm zum Fallstrick wird.
  Lichtwer.

Sardinien gehörte damals den Pisanern, und ward von ihnen in vier Regierungen, in die zu Logodoro, Callari, Gallura und Aldore, vertheilet.
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H090 Dieser war anfänglich Oberschenk beym Enzius, einem natürlichen Sohne des Kaisers Friedrichs, des Zweyten, dem sein Vater die Herrschaft Logodoro gegeben hatte. Enzius starb im Gefängnisse zu Bologna, und Zanke verführte, vermuthlich auch durch den listigen Gebrauch, den er von dem vertraulichen Umgange mit dem Nino machte, die Wittwe, die Herrschaft behielt, daß sie ihn zum Gemahl nahm, und er also Herr von Logodoro ward.
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H091 Das geht fast in der Hölle zu, wie in der Welt, und besonders wie bey Hofe. Da ist auch einer des andern Teufel, und am Ende fallen sie alle auch in die Grube, die sie einander gegraben haben.

Die Welt ist voller List, des Priesters heilge Mine
Trügt, wie des Layen Schwur: selbst unter Hermeline
Wohnt Bosheit wie im Sack, darin der Bauer geht.
Trug ist die große Kunst, die Jung und Alt versteht.
Doch, was bereitet ihr euch selbst für bittre Schmerzen!
Ihr tragt in euch den Wurm, die Folter in dem Herzen.
  Lichtwer.

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