Von der Hölle.
Drey und zwanzigster Gesang.

Übersicht

Inhalt.

Der Dichter erzählet, wie er von den Teufeln verfolgt, vom Virgilius aber gerettet und in den sechsten Abgrund gebracht worden sey, in welchem die Heuchler, mit überaus schweren bleyernen Mänteln bekleidet, ganz langsam einhergiengen. Hier spricht Dante mit zween Ordensbrüdern, und sieht den Hohenpriester Caiphas und seine ganz besondere Strafe.

Stillschweigend und ohne Gesellschaft giengen wir nun ganz allein, der eine vor, der andre hinten nach, so wie bisweilen Capucinermönche einzeln einher zu gehen pflegen. Ich hatte meine Gedanken, wegen des gegenwärtigen Streits, auf die Aesopische 092 Fabel von der Maus und dem Frosche, gerichtet, deren 161 Vergleichung nicht besser, als gegenwärtig hier, statt finden kann. Denn eine Begebenheit kann mit der andern ganz wohl verglichen werden, wenn die Gelegenheit, der Ausgang und die Absicht von beiden mit einander übereinstimmen. Und wie ein Gedanke aus dem andern entspringt, so entstand aus dem von der Fabel ebenfalls ein neuer, der aber meine 093 anfängliche Furcht verdoppelte. Ich dachte also: Die sind unsertwegen mit Schaden und mit so einem listigen Streiche angeführet worden, so wie sie ganz vermuthlich uns anzuführen gedacht haben. Wenn nun Zorn und Rache sich mit ihrer Bosheit vergesellschaften, so werden sie uns gewiß so grausam nachsetzen, als kein Hund hinter dem aufgespürten Hasen herschießen kann. Ja, ich empfand schon, daß mir vor Furcht alle Haare zu Berge standen, und war immer hinter mit aufmerksam, bis ich endlich sagte: Mein Lehrer, wo du dich und mich nicht schleunigst verbirgst, so bricht meine Furcht vor den Malebranken in ein Erschrecken vor ihnen aus. Gewiß, wir haben sie schon hinter uns, und ich bilde sie mir so stark ein, daß ich sie schon fühle. Wenn ich gleich ein wirklicher Spiegel wäre, antwortete er mir, so könnte ich dein äußerliche Gestalt nicht geschwinder in mir auffangen, als ich deine innerlichen Vorstellungen in mir empfinde. Nur so eben traten deine Gedanken unter die meinigen, die eben dergleichen Vorstellungen, und eben dergleichen Aussichten waren, so, daß ich so fort aus 162 beiden zusammen den einzigen Rathschluß gefaßt habe, welches dieser ist: Wenn die rechte Seite nur so danieder liegt, daß wir in den folgenden Abgrund hinunter fahren können, so wollen wir der Verfolgung, die unsre Einbildung befürchtet, doch entfliehen.

Noch hatte er diesen Rath nicht einmal ausführlich von sich gegeben, als ich sie, die Malebranken, schon mit augebreiteten Flügeln, um damit zu fangen, nicht weit mehr von uns, daher kommen sah. Plötzlich ergriff mich mein Führer. So plötzlich ergreift eine Mutter, die über einem Feuerlärmen erwacht, und das Feuer schon neben sich brennen sieht, ihr Kind, und flieht, mehr um dieses, als um sich selbst besorgt, und in dem bloßen Hemde, das sie nur bekleidet, unaufhaltsam damit fort. Und auch so eiligst ließ er, oben von dem Halse des harten Ufers an, sich rücklings auf dem abhängigen Felsen hinunter, dessen eine Seite den folgenden Abgrund ganz zuschließt. So geschwind kann Wasser, das Mühlräder treiben soll, noch nie durch einen Canal, und wenn es näher an die Schaufeln zukommt, daher geflossen seyn, als mein Lehrer, der mich, wie sein Kind, und nicht bloß wie einen Freund, auf seiner Brust vor sich hatte, auf diesem äußersten Wege mit mir fortschoß. Kaum war er mit seinen Füßen auf den Boden des Grundes hinunter, als sie oben auf dem Hügel über uns anlangten. Allein hier erstarb sogleich alle Furcht. Denn die göttliche Vorsehung, die sie nur zu Dienern ihrer Gerechtigkeit über den fünften Abgrund gesetzt hatte, benahm da oben ihnen allen das Vermögen, über die Schranken desselben hinaus zu gehen.

In diesem Abgrunde fanden wir ein bemahltes Volk, das mit ziemlich langsamen Schritten herum 163 gieng, kläglich weinte, und sehr abgemattet und entkräftet aussah. Sie trugen Mäntel mit kleinen Kappen vor den Augen, von der Art, wie sie in Cölln für die Mönche gemacht werden. Auswendig sind die vergoldet, so, daß sie recht blenden, nach ihrer innern und wahren Beschaffenheit aber sind sie alle durchaus von Blei, und so schwer, daß jene, die Friedrich den armen Verutheilten anlegen ließ, gegen diese so leicht, wie Stroh, waren. O ewig, ewig beschwerliche Mäntel!

Noch immer aufmerksam auf die traurigen Wehklagen, wandten wir uns mit ihnen zugleich nach der linken Hand zu. Allein wegen der schweren Bürde gieng das müde Volk so sachte, daß wir, bey einer jede Bewegung unsrer Hüfte, in einer neuen Gesellschaft waren. Daher sagte ich zu meinem Führer: Mache, daß du einen findest, den man an seinem Bezeigen, oder sonst woran erkenne, und siehe dich nur so im Gehen mit deinen Augen darnach um. Da schrie einer, der die Toskanischen Worte verstand, uns hinten nach, Haltet doch eure Füße ein wenig an, ihr, die ihr hier durch die düstre Luft so laufet, vielleicht findest du an mir denjenigen, den du verlangest. Daher wandte sich mein Führer, und sagte zu mir: Warte, und richte hernach deine Gang nach dem seinigen ein. Ich blieb stehen, und sah zwey, die in ihren Gesichtern eine große innere Eilfertigkeit, bey mir zu seyn, äußerten, die aber ihr Lastwagen und der enge Weg aufhielten. Als sie heran kamen, schielten sie mich genau an, ohne ein Wort zu reden. Hierauf wandten sie sich gegen einander, und sagte einen zu dem andern: Nach dem Ausdrucke seiner Kehle scheint dieser noch lebendig zu seyn. Und wenn es Gestorbene sind, wer hat ihnen die Freyheit und 164 Macht gegeben, ohne die schwere Kleidung zu gehen? Alsdenn sagten sie zu mir: O! Toskaner, der du hier zur Zunft der traurigen Heuchler herkommst, verschmähe unsre Bitte nicht, und sage uns, wer du bist. Ich ward, antwortete ich ihnen, in der großen Stadt, an dem schönen Flusse Arno, gebohren und erzogen, und habe den Körper noch, den ich jederzeit gehabt habe. Allein wer seyd ihr, denen, wie ich sehe, ein so schmerzhafter Angstschweiß die Wangen herabtrieft, und was leidet ihr für eine besondere Strafe, die so schimmert und glänzet? Die goldfärbigen Mäntel, antwortete mir der eine, sind so stark von Bley, daß vor Schwere dieser Gewichte ihre Waagebalken so ängstlich ziehen und seufzen. Wir waren sogenannte freye Mönche 094 aus 165 Bologna, und hießen, ich Catalano und dieser hier Loderingo, und wurden von deinem Vaterlande weggenommen, so wie man einen Menschen zur Erhaltung seiner Wohlfahrt, der Einsamkeit zu entreissen pflegt, und befanden uns in solchen Umständen, wovon man in der Gegend um Gardingo herum noch die traurigsten Spuren erblickt.

O! Mönche, rief ich hier aus, eure Uebel - doch mehr sagte ich nicht, weil mir plötzlich ein unten auf der Erde an drey Pfählen Gekreuzigter in die Augen fiel. So bald dieser mich sah, verzerrte er alle seine Glieder und ächzte in seinen Bart die ängstlichsten Seufzer. Der Mönch Catalano merkte solches und sagte zu mir: Der da ans Kreuz Geschlagene, den du so ansiehst, gab ehedem den Pharisäern den Rath, daß es besser sey, einen Menschen für ein ganzes Volk den Martern des Kreuzes aufzuopfern. Er liegt, wie du siehst, kreuzweis und frey und nackend über dem Weg, und muß nun allemal erst schrecklich empfinden, wie schwer ein jeder, der da durchgeht, mit seinen Füßen zutritt. Und auf eben die Art müssen hier in diesem Abgrunde sein Schwiegervater und die andern Glieder jenes großen Raths leiden, der für die Juden ein so böser und höchst unglücklicher Saame war.

Da sah ich den Virgilius von Verwunderung über den, der, so schimpflich und schmählig auf dem Kreuze ausgestreckt, ins ewige Elend verwiesen war, sich äußerst entsetzen. Hernach wandte er sich zu dem Mönche und sagte: Werdet nicht ungehalten, daß ich euch bitte, mir 166 doch, im Fall es euch erlaubt ist, zu sagen, ob nicht dort, rechter Hand, ein Schlund liegt, wo wir alle beide heraus können, ohne dadurch schwarze Engel zu nöthigen, daß sie etwa da aus dem Grunde kommen und uns fortbringen. Noch eher, als du denkst, antwortete er mir, kömmt ein Felsenstück, das aus dem großem Kreise hervor, und über das ganze wilde Thal hinübergeht. Nur ist der einzige Umstand, daß solches eingestürzt liegt, und keine gehörige Bogendecke mehr macht. Doch könnet ihr auf dem Steinschutte, der auf der Seite liegt, und den Grund ausfüllt, fortsteigen. Mein Führer blieb ein wenig mit niedergebeugtem Kopfe stehen, und sagte darauf: Also hat uns der, der jenseits dort die Sünder so zerhaken läßt, zu unserm Fortkommen sehr falsch und übel berichtet. Schon in Bologna, erwiederte der Mönch, hörte ich ehedem dem Teufel Laster gnug, und unter andern auch dieses nachsagen, daß er ein Lügner, und ein Vater der Lügen sey.

Hierauf gieng mein Führer, dem äußerlichen Ansehen nach, in etwas vom Zorne beunruhiget, mit großen und starken Schritten fort, daher auch ich, immer auf seinen treuen Fußtapfen hinter ihm her, mich von den dasigen Lastträgern zugleich entfernte.

Vier und zwanzigster Gesang.

Anmerkungen:

H092 Die Fabel ist diese: Der Frosch erbietet sich, die Maus über den Graben zu bringen, jedoch in der Absicht, sie zu ersäufen. Als er sein Vorhaben ausführen will, werden sie von einem Geyer erblickt, angefallen, und alle beide aufgefressen.

Die Gelegenheit in der Fabel war also die Maus, die Absicht des Frosches, sie zu ersäufen, daher er sich stellte, als wollte er ihr helfen, und der Ausgang war beider Unglück, nämlich ein Raub des Geyers.

Die Gelegenheit des Streites war der Streich des Betrugspielers, die Absicht des Calcabrina, seinen Cameraden zu stürzen, daher er sich stellte, als flöge er, ihm zu Hülfe, hinter ihm her, und der Ausgang war beider Unglück nämlich ein Raub des siedenden Pechs.
zurück

H093 Diese anfängliche Furcht war diejenige, welche Dante empfand, als ihnen die Teufel zu ihren Führern mitgegeben wurden.
zurück

H094 Einige Reiche von Adel hielten beym Pabst Urban, dem Vierten, an, einen Ritterorden zu stiften. Sie erhielten die Erlaubniß, nannten sich Ordensbrüder der heiligen Maria, und machten sich anheischig, wider die Ungläubigen zu fechten, und Recht und Gerechtigkeit unparteyisch zu handhaben. Allein da sie, als reiche Herren, frey, im Ehestande, und herrlich und in Freuden lebten, so wurden sie deswegen von dem Volke freye Mönche (frati godenti) genennet. Diese beiden, der erste, als ein Welfe, und der andre, als ein Gibelline, wurden von Florenz zu ihren Statthaltern gewählet, damit das Volk, nach der Niederlage des Königs Manfreds, keinen Aufstand machen, und Ruhe und Friede und die allgemeine Wohlfahrt erhalten werden möchte. Allein sie ließen sich von den Welfen bestechen, und hierauf erfolgten, durch diese beiden Häupter, die schrecklichsten Einäscherungen und Verwüstungen, besonders in der Gegend um Gardingo herum, wo die Ubertische Familie, als das Oberhaupt von den Gibellinen, ihre Güter hatten.
zurück