Von der Hölle.
Vier und zwanzigster Gesang.

Übersicht

Inhalt.

Dante geht aus dem sechsten Abgrunde heraus, übersteigt, mit Hülfe seines Führers, einen eingestürzten Ort, und geht in den siebenten Abgrund hinein, wo er eine erschreckliche aufgehäufte Menge von Schlangen findet, von denen die betrügerischen Straßenräuber gepeiniget werden. Hier bemerkt er einen seltsamen Zufall, der einem von den dortigen Verdammten begegnet, mit dem die Dichter sich unterhalten.

So wie noch in der Jugend des neuen Jahres, wann die Sonne ihre heissen Strahlen in dem Wassermanne löschet, und die Nächte fast bis an den Mittag noch reichen; wann der glänzende Reif auf der Erde das Bildniß seiner weissen Schwester, wiewohl nur mit Farben entwirft, die für die schöne Malerey von zu kurzer Dauer sind; so wie in solcher Jahrszeit der arme Landmann, dem sein Vorrath ausgeht, aufsteht, umherschaut, und das ganze Land sich weiß kleiden sieht, daher er vor Unwillen mit beiden Händen sich in die Seiten schlägt; dann wieder nach seiner Wohnung zurückkehrt, und hier und da ängstlich klaget, wie ein Nothleidender in der Fremde, der nicht mehr weiß, was er anfangen soll; hernach endlich, schon durch die Hoffnung entschädiget, wiederkömmt, weil er die Gestalt der Welt in so kurzer Zeit verändert sieht, und nun seinen Weidenstock nimmt, und das Zuchtvieh froh auf die Weide hinaustreibt - eben so machte mich mein 168 Lehrer anfänglich ganz unzufrieden und verzagt, als ich an ihm die traurig unruhige Stirne erblickte, aber auch eben so bald heilte er wieder mit einem erquickenden Balsam meine schmerzhaften Wunden.

Denn so bald wir an die eingefallene Brücke hinkamen, wandte sich mein Lehrer mit eben dem liebreicher Angesichte zu mir, das ich zum erstenmale dort bey der Fuße des Berges an ihm wahrnahm. Mit offenen Armen umfaßte er mich, wiewohl er erst den Ruin genau betrachtete, und vorher bey sich erst zu Rathe gieng, und seinen Entschluss deswegen faßte. Und gleich eine Person, die immer fortarbeitet, dabey aber alles wohl überdenket, und beständig sich in Zeiten vorzusehen scheint, also hob er mich nach dem Gipfel eines Felsenstücks zu in die Höhe, und wieß schon im Aufheben auf einen folgenden Felsensplitter und sagte zugleich: Auf den klettere hernach hinauf, doch versuche erst, ob er auch so beschaffen ist, daß er dich trage und aushalte. Für Personen in langer Kleidung war der Weg gar nicht. Denn er, mein Führer, war doch so leicht, und ich wurde so an und fortgetrieben, und dennoch konnten wir kaum von einem Steine auf den andern hinaufsteigen. Und wäre der Weg auf dieser Seite der Ringmauer so lang, und nicht kürzer, als auf der andern Seite gewesen, so sage ich, zwar nicht von ihm, sondern nur von mir, daß ich vor Unvermögen hätte erliegen müssen. Allein da Malebolge, bis unten vor der Thüre des entsetzlich tiefen Brunnens zu, ganz abhängig ist, so bringt es die Lage eines jeden Thals so mit sich, daß die eine Seite aufwärts, und die andre hinabwärts gehet.

Endlich kamen wir doch ganz oben auf die Höhe hinauf, wo das letzte steile Felsenstück etwas abschößig 169 sich ausbreitet. Das ewige Athemholen hatte meine Lunge von Luft so ausgeleeret, daß ich, als ich hinauf war, unmöglich weiter fortkommen konnte, und mich vielmehr auf den ersten Absatz niederlassen mußte. O! nunmehr mußt du dich, sagte hier mein Lehrer, von unedler Trägheit entfesseln. Denn auf sanften Kissen und in weichen Federbetten macht man sich in der Welt keinen rühmlichen Namen. Und wer ohne diesen seine Lebenszeit verschwendet, der läßt kein andres Andenken, hinter sich, als das der Rauch in der Luft, oder der Schaum im Wasser hinter sich läßt. Darum stehe auf, bekämpfe und überwinde das ängstliche Wesen mit dem Geiste, der, wenn er mit seinem aus Trägheit sinkenden Körper sich nicht zugleich erniedriget, in allen Schlachten den Sieg glorreich davon trägt. Eine weit höhere Leiter muß noch erstiegen werden. Denn die du bisher überstiegen hast, ist nicht zureichend. Und siehst du das ein, wohlan, so sey dein Betragen auch so, daß es zu deinem Ruhme und zu deinem Besten ausschlage.

Hierauf stand ich auf, bezeigte mich weit freyer im Athemholen, als ich mich wirklich fühlte, und sagte zu ihm: Wohlan, so komm, ich gehe stark und beherzt mit.

Also nahmen wir oben auf der Felsenklippe, die weit unebensteinigter, enger, beschwerlicher und steiler, als die vorige war, unsern Weg fort. Ich redete beständig im Gehen, um meine Schwachheit nicht blos zu geben, daher eine Stimme aus dem andern Graben erschallte, die aber keine vernehmlichen Worte hören ließ. Ich verstand nicht, was sie sagte, wiewohl ich mich schon auf dem Rücken des Felsenbogens befand, der da hinübergeht. Allein der, welcher redete, schien, als wenn er von Zorn aufgebracht wäre. Ich wandte mich, und 170 sah hinunter, konnte aber mit den schärfsten Blicken, wegen der dicken Finsterniß, nicht bis auf den Grund hinunter sehen. Mein Lehrer, sagte ich daher, mache, daß du zu dem andern Kreise hinkommst, und daß wir daselbst die Mauer hinabsteigen können. Denn so, wie ich hier zwar höre, aber nichts verstehe, eben so sehe ich wohl hinunter, kann aber auch nichts erkennen. Ich gebe dir, sagte er, keine andre Antwort, als diese, es so zu machen, daß dein anständiges Verlangen durch die That stillschweigend befolget werden muß.

Wir stiegen also von der äußersten Höhe die Brücke bis da hinunter, wo sie sich mit dem achten Ufer zusammenfüget, da denn sogleich der siebente Abgrund sich meinen Augen entdeckte. Ich sah hinein, und fand eine so aufgehäufte erschreckliche Menge von Schlangen darinnen, und die von so verschiedener Art waren, daß, so oft ich daran denke, mir das Blut in allen Adern wieder erstarret.

O! Rühme dich nun nicht mehr, Lybien, mit der Menge deines Sandes! O! schweig, ganz Aethiopien! Schweig gleichfalls, du Land, das an dem rothen Meere liegt, schweigt alle! Denn ihr alle zusammen könnt mit euerer ganzen Menge 095 von giftigen Wasserschlangen, von Pfeilschlangen, von Erdschlangen, von Hiersenschlangen, von Doppeltschlangen, und mit allen den übrigen, die eure Gegenden hervorbringen, könnt ihr 171 nicht so viel und so mannichfaltiges und so böses und so pestilenzialisches Schlangenungeziefer aufweisen, als hier anzutreffen ist. Und durch dieses grausame und erschreckliche Schlangenheer mußte ein nackendes Volk, ohne die allergeringste Hoffnung, einen Ausgang, oder einen 096 Zauberstein zu finden, mit dem äußersten Entsetzen herumlaufen. Mit Schlangen waren ihnen hinten auf dem Rücken die Hände zusammen gebunden, die ihren Schwanz und Kopf bey den Nieren hindurchsteckten, und von vorne her in einen Haufen zusammen verwickelt waren. Und auf einen, der aus unsrer Gegend war, schoß plötzlich eine Schlange los, die ihm gleich da durch und durch stach, wo der Hals an die Achseln gefugt ist. Kein O und kein I kann so geschwind geschrieben werden, als dieser sich entzündete, brannte, und ganz in Asche zerfallen mußte. Hernach, so bald er auf der Erde so zerstört da lag, versammlete sich die Asche wieder, und stellte durch sich selbst eben denselben Körper plötzlich wieder her.

Also behaupten großen Weltweisen, daß der Phönix, wann er bald fünfhundert Jahre alt ist, sterbe, und sodann wieder gebohren werde. Er weidet sich 172 in seinem ganzen Leben, weder mit Kraut, noch mit Getraide. Nein, bloße Thränen von Weyrauch und Amom sind seine einzige Speise, und Narden und Myrrhen werden zuletzt sein Sterbebette.

So wie einem Menschen, der plötzlich zu Boden fällt, ohne zu wissen, wie und warum, welches durch dämonische Zauberkraft, die ihn zur Erden wirft, oder wegen innerlicher Verstopfungen, die den Menschen oft wie bezaubern, geschehen kann; wie einem solchen, sage ich, da zu Muthe ist, wann er wieder aufsteht, so, daß er sich um und um beschauet, und ganz verstört vor großer Herzensangst, die er erlitten hat, umhersieht und seufzet - eben so ward da dem Sünder zu Muthe, sobald er wieder aufgestanden war.

O! wie strenge ist die Strafgerechtigkeit des allerhöchsten Gottes, die in so rächenden Blitze und Donnerschläge schreckensvoll ausbricht!

Mein Lehrer fragte ihn hernach, wer er wäre. Ich stürzte, war seine Antwort, aus Toskana nur vor kurzem in diesen wilden Schlund herunter. Eine nicht menschliche, nein, eine viehische Lebensart war dort auf der Welt meine einzige Lust und Freude, die nur für einen solchen Bastarten, wie ich war, sich am besten schickte. Vanni Fucci, das Unthier, bin ich, und Pistoja war meine, und die meiner würdige Höle.

Sage ihm doch, bat ich meinen Führer, daß er nicht davon fliehe, und frage ihn, was für Verschuldungen ihn hier herunter verstoßen, weil ich ihn ehedem doch als einen blutdürstigen Wüterich gekannt habe. 173

Der Sünder, der solches hörte, verstellte sich nicht, sondern wandte sich, von trauriger Schande getrieben, mit seinem Geiste und Gesichte recht zu mir hin, und sagte hernach: Daß du mich in dem Elende, wo du mich hier siehst, angetroffen hast, das schmerzt mich weit empfindlicher, als da ich jenem Leben dort entrissen ward. Ich kann dir dein Verlangen unmöglich versagen. Ich bin darum so tief hier herunter verstoßen worden, weil ich, als ein Straßenräuber, die reiche Sacristey 097 mit den schönen Geräthen so beraubet habe. Und o wie widerrechtlich ward da einandrer aufgehenkt! Allein, damit du an solche Anblicke dich nicht weidest, wenn du einmal aus den finstern Oertern wieder heraus seyn wirst, so öffne itzt deine Ohren, und höre, was ich dir verkündigen will: Pistoja wird anfänglich an Schwarzen ziemlich abnehmen. Hernach wird Florenz neues Volk und Vermögen wieder aufbringen. Unterdessen zieht Mars aus den Tiefen von Magra tödtliche Dünste herauf, daß ihr Himmel mit trüben Wolken 174 ganz umzogen wird. Dann werden sich gewaltige und schwere Ungewitter zu Schlachten über den Picenischen Gefilden fürchterlich aufthürmen. Endlich wird Mars plötzlich die schwarzen Wolken zerbrechen, so, daß ihre Donner alle Weissen verwunden und erschlagen werden. Und das habe ich dir blos darum gesagt, damit ich dir damit Schmerzen verursache.

Fünf und zwanzigster Gesang

Anmerkungen:

H095 Diese verschiedene Arten von Schlangen, sind, der Ordnung im Texte nach, Schlangen, die im Wasser und auf der Erde leben, die von den Bäumen wie ein Pfeil auf die Menschen zuschießen, die aufgerichtet gehen, die wie Hierse gezeichnet sind, und endlich, die zween Köpfe haben sollen.
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H096 Dieses ist der Sonnenstein, der wider den Gift seyn, oder nach der fabelhaften Erzählung die Kraft haben soll, den, welcher ihn bey sich trägt, unsichtbar zu machen.

Und der Phönix, dieser weltberühmte Vogel, soll sich in dem glückseligen Arabien befinden, nur einmal in der Welt seyn, und ehe er noch fünfhundert Jahre alt wird, auf den kostbarsten Specereyen, an den Stralen der Sonne sich selbst verbrennen, und aus seiner Asche neu gebohren wieder auferstehen.
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H097 Dieser Straßenräuber bestahl die reiche Sacristey der Domkirche zu Pistoja, beschuldigte hierauf dieses Diebstahls einen Notar und Mann von gutem Rufe, und brachte es durch einen sogenannten geschickten Advocaten, und durch den procesmäßigen Lauf des Rechtens so weit, daß dieser Unschuldige richtig an den Galgen aufgeknüpft wurde; und das von Rechts wegen. - Allein du rechtsgelehrter vorzüglicher Mörder eines solchen Unschuldigen.

Sein Schatten soll dafür des Tages deine Pein,
Des Nachts dein Schreckenbild, und stets dein Henker seyn.
  Lichtwer.

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