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Einleitung.
Vorläufige Einführung in die göttliche Komödie,
besonders in den ersten Theil.
1. Name und äußere Einrichtung.

      Dante nannte sein Werk Komödie, theils des Inhalts, theils der Form wegen; des Inhalts wegen, denn es hat einen traurigen Anfang und nimmt ein fröhliches Ende; der Form wegen, denn, in der gemeinen Volkssprache geschrieben, hat es mehr vom Soccus, als vom Cothurnus an sich (01). Den Beinamen "die göttliche" setzte erst - und zwar ebenfalls mit Rücksicht auf Inhalt und Form, - die bewundernde Nachwelt hinzu.

     Das Ganze besteht aus 3 Theilen: Hölle, Fegefeuer, Paradies, jeder dieser Theile wiederum aus 33 Gesängen, da der erste von den 34 Gesängen des ersten Theils dem Ganzen als Einleitung dient (s. Hölle 1, 112-136). Das Versmaß ist die dreitheilige Terzine, und jede Terzine enthält 33 Silben. Ueberall klingt die Drei wieder. Hier erinnere man sich, daß die Drei die Zahl (S.XXIX) Gottes, als des Dreieinigen, ist, wie denn Dante in der Vita nuova seine fromme, im dreieinigen Gotte wurzelnde Beatrice eine Neun nennt, die ja auch in der Drei wurzelt (02). Nimmt man nun hinzu, daß nach Th. Aquinas die Zahl des dreieinigen Gottes im Weltall, als in seinem Werke, sich allenthalben abgedrückt findet, indem z. B. der Mensch aus Leib, Seele und Geist, jedes Ding aber (auch nach Aristoteles) aus Anfang, Mitte und Ende besteht, so scheint es fast, als ob der göttliche Dichter seinem Werke mit der Drei den Schöpferstempel habe aufdrücken wollen, betrachtet es es doch offenbar als ein Bild des Universums, wenn er sagt, daß Himmel und Erde Hand daran gelegt haben (Parad. 25, 1-2)(03). - Da nun das Ganze 100 Gesänge zählt, die Zahl Hundert aber als Potenz von 10, der Zahl der Vollkommenheit, den Begriff der Allvollkommenheit in sich schließt (04), so könnte man vielleicht (S.XXX) behaupten, der göttliche Dichter habe damit sagen wollen, daß er den Schöpferstempel, den er seinem poetischen Universum aufgedrückt, dem allervollkommensten Wesen abgeborgt habe, von dem es 1. B. Moses 31 heißt: Und Gott sahe an Alles, was er gemacht hatte; und siehe da, es war sehr gut.

2. Charakter des Gedichtes.

     Alles muß unserm Dichter dienen, und doch merkt man keinen Zwang. Er beherrscht das ganze Weltall, und doch scheint er nur zu spielen. Wenn er zu reden anfängt, so kommet es Einem vor, als könnte er ewig so fort reden, und doch deutet er kaum an, so geht er schon wieder zu etwas Neuem über. Je öfter man das Gesagte überliest, desto durchsichtiger wird die Tiefe, so daß sie am Ende unermeßlich zu sein scheint. Jede Zeile dehnt sich dann zu einer längern Gedankenreihe aus, jedes Wort wächst an Gewicht, je länger man es hin und her wägt. So reizt er uns ewig stillzustehen und nachzudenken und reißt uns doch ewig fort. Seine Bilder sind meist aus dem gewöhnlichen Leben entlehnt; daher die große Anschaulichkeit. Doch weiß er hauszuhalten mit den aufzunehmenden Zügen; nur ein Paar Pinselstriche, so lebt alles, denn er greift die charakteristischen, die dann Zug für Zug passen. Darin und daß die verglichenen Sachen meist in einer tiefern Beziehung zu einander stehen (s. Hölle 27, 52-54), unterscheiden sich seine Bilder von den Homerischen.

     Um nun zum Einzelnen überzugehen, so ist die Hölle eine ungeheure Sculptur; alles lebt und webt von scharfgezeichneten Gestalten. Es ist, wie wenn ein Mann mit einer Fackel durch eine unterirdische Höhle zieht; dunkel und formlos ist alles; aber wohin der Schein der Fackel fällt, entdeckt man auf dem Boden, an den Wänden, über dem Haupte eine unendliche Mannigfaltigkeit von Bildungen, und obgleich nur die nächsten (S. XXXI) Umgebungen beleuchtet werden, so ahnt man doch in der angrenzenden Dunkelheit noch tausend andere Gestalten. Das Fegefeuer dagegen ist ein Riesengemälde; hier wimmelt es von pittoresken Gruppen. Vom Fegefeuerberge, der sich in mehrern Absätzen gen Himmel erhebt, hat die Phantasie eine romantische Aussicht auf das unermeßliche Weltmeer. Die Farblosigkeit der ewigen Finsterniß liegt dahinten; die alles belebende Sonne geht auf und nieder. "Es wechselt Paradieseshelle Mit tiefer, schauervoller Nacht, Es schäumt das Meer in breiten Flüssen Am tiefen Grund der Felsen auf, Und Fels und Meer wird fortgerissen Im ewig schnellen Wechsellauf." - Im Paradies endlich löst sich alles in eine ewige Musik auf; ätherische Gestalten schwimmen umher in dem unversiegbaren Lichtstrom, wo aller Farbenunterschied aufhört (Par. 10, 42); nichts als Ton, nichts als Empfindung, denn das ganze Innere der Seligen ist Lobgesang, der sich mit der Musik der Sphären harmonisch mischt (Fegef. 30, 92. 93.). -

     Wie nun dieses große Gedicht, mit Bezug auf die andern Künste, in seinem ersten Theile vorwaltend einen plastischen, im zweiten einen pittoresken, im dritten einen musikalischen Charakter trägt, so kann man es, mit Bezug auf die Dichtkunst selbst, im ersten Theile ein Trauerspiel, im zweiten ein Schauspiel und im dritten ein Lustspiel nennen. Mit dem Schrei der Verzweiflung hebt es an; durch die Wehmuth der Sehnsucht geht es hindurch; mit dem Jubel der Seligkeit schließt es.

     So ist nun das Ganze ein Meer, das bald vom Sturme aufgerüttelt, bald von Zephyrn gekräuselt wird, ein volles Orchester, wo bald die schmetternde Posaune, bald die schmelzende Flöte vorwaltet, ein gothischer Dom, in dessen heiligem Dunkel wir eine schauerliche Nacht durchwachen, bis der herzerfreuende Schein der Morgensonne durch die bemalten Scheiben bricht. (S. XXXII)

3. Umfang des Gedichtes.

     Kein Werk, das je aus der Feder eines klassischen oder modernen Dichters geflossen, ist so universell, als die göttliche Komödie, umfaßt es doch eben das ganze Universum sammt Allem, was darinnen ist. Auf dem architectonischen Grundriß des Weltalls, den er mit Hülfe der Mathematik und Astronomie zur Unterlage des ganzen Werkes entwirft, bauet er seine Beschreibung der unsichtbaren Welt mittelst der Philosophie und Theologie, indem er der Hölle die Lehre vom Teufel und seinem Reiche (Dämonologie), dem Fegefeuer die Lehre von der Natur des Menschen (Anthropologie), dem Paradiese die Lehre vom dreieinigen Gotte (Theologie) einverleibt. Damit er aber einen möglichst hohen Grad der Anschaulichkeit erreiche, so muß ihm Mythologie und Geschichte bis auf die unmittelbare Gegenwart herab ihren ganzen plastischen Reichtum aufschließen, aus dem er, als ein rechter poetischer Hausvater, bald Altes, bald Neues hervorholt und sinnig nebeneinander stellt. Der Mittelpunkt aber des ganzen Gedichtes ist die Psychologie. Das menschliche Herz wird in der Hand des göttlichen Dichters ein klingendes Saitenspiel. Keine Schattirung vom niedrigsten bis zum erhabensten, vom traurigsten bis zum fröhlichsten Gefühle ist vergessen; alle Lebens- und Gemüthsstellungen finden ihren gebührenden Platz. Und das alles, wie typisch! Ueberall eine wahrhaft classische Mitte zwischen dem abstract-Allgemeinen und dem concret-Besondern! Philosophisch im höchsten Grade und doch poetisch. Lyrisch, dramatisch, episch. So ist denn das Ganze eine gestaltenvolle Encyclopädie, eine in ein Bild verwandelte Dogmatik, ein lebendiges Geschichtscompendium, eine redende Psychologie, ein Spiegel der Zeit Dante's und doch aller Zeiten, ein Abdruck des Herzens Dantes und doch aller Herzen, nicht eins Volksepos, sondern das Epos des Menschen. (S. XXXIII)

4. Sinn und Zweck des Gedichtes.

     "Wahrlich, wahrlich ich sage euch, von nun an werdet ihr den Himmel offen sehen und die Engel Gottes hinauf- und herabfahren auf des Menschen Sohn (Joh. 1, 51)." In diesen Worten ist der Charakter des Christenthums ausgesprochen, insofern es eine innige Verbindung der sichtbaren und unsichtbaren Welt zu Stande gebracht hat. Das lebendige Bewußtsein dieser innigen Verbindung von Unten und Oben, von Erde und Himmel, von Stoff und Geist, von Gott und Menschen hat die Parabel und die Allegorie erzeugt, indem der Geist, vermöge jenes Bewußtseins, in der Sinnenwelt ein Schattenbild der Geistwelt findet, wie denn der Mensch ein wenn auch noch so schwacher Abglanz Gottes, das Thier hinwiederum des Menschen, die Pflanze des Thiers und der Stein der Pflanze ist. Diese mit Recht allgemein angenommene Analogie des Sichtbaren und Unsichtbaren ist nun der Grund, daß schon die Theologen des Mittelalters im Worte Gottes einen doppelten Sinn unterscheiden, einen buchstäblichen (literalis) und einen geistigen (spiritualis), so zwar, daß der letztere den erstern keineswegs verschlingt, sondern, auf diesen gegründet, neben her geht (05). - Die göttliche Komödie schließt nun auch, Dante's eigener Erklärung zufolge, einen buchstäblichen Sinn und einen geistigen in sich. Dem buchstäblichen Sinne nach ist von dem Zustande der Seelen nach dem Tode (status animarum post mortem) die Rede: ein hinlänglicher Beweis, daß der Dichter in den höllischen Scenen nicht bloß subjective Stimmungen des Sünders hier auf Erden darstellt; dem geistigen Sinne nach ist der Gegenstand der Mensch, je nachdem er durch Verdienst oder Schuld mittelst des freien Willens der belohnenden oder bestrafenden Gerechtigkeit anheimfällt (homo prout merendo et demerendo per arbitrii libertatem justitiae praemiandi et puniendo obnoxius est), (S. XXXIV) wie sich der Dichter selbst in seiner Widmung an Can grande ausdrückt, oder mit andern Worten, es ist darin von dem Wege die Rede, den Gott mit dem Menschen und der Mensch mit Gott geht durch alle Stufen der Heilsordnung hindurch bis in die ewige Herrlichkeit hinein. (06) Diesen Weg geht Dante, selbst ein Sünder (07), unter göttlichem Beistand dem ganzen sündigen Menschengeschlechte vor. Dem buchstäblichen Sinne zufolge giebt uns demnach das Werk in theologischer Hinsicht Aufschlüsse über die letzten Dinge (Eschatologie),(S. XXXV) dem geistigen Sinne zufolge über die Erlangung des Heils (Soteriologie).

     So versinnbildet denn die halb unfreiwillige und unter vieler Angst vor sich gehende Höllenfahrt des Dante die den natürlichen Menschen anwidernde Betrachtung der Sünde (Hölle 12, 21), und das heilsame Erschrecken nach erkannter Strafwürdigkeit, wenn auch noch in knechtischer Furcht (timor servilis, attritio); das, obschon beschwerliche, doch willige Erklimmen (Fegef. 2, 66; 12, 120. etc.) des Fegefeuerberges die saure, aber doch gern übernommene Buße (poenitentia), auf deren Grund die Rechtfertigung durch die Gnade Gottes in Jesu Christo ruht; der ahnungsvolle Eintritt in das irdische Paradies auf dem Gipfel des Fegefeuerbergs die hoffnungsreiche Rückkehr zur ursprünglichen (Fegef. 28, 91-93) Gerechtigkeit (justitia originalis); der ungehinderte Flug durch das himmlische Paradies den vollen Genuß des neuen Lebens (Parad. 1, 67-75) aus Gott, dessen Stern und Kern (s. den Widmungsbrief Dante's an Can grande am Ende) in der unter brünstigem Gebet zu erringenden Anschauung des dreieinigen Gottes liegt!

     Was nun endlich den Zweck des Gedichtes betrifft, so will der Dichter, seiner eignen Erklärung gemäß, die in dieser Welt Lebenden aus dem Zustande der Sündennoth reißen und sie in den Zustand der Seligkeit überführen (removere viventes in hac vita de statu miseriae et perducere ad statum felicitatis). Wie er, der Verbannte, Ruhe für seine Seele bei Gott gefunden (Fegef. 5, 61-63), so möchte er nun seine verirrten Mitbrüder auch aufschrecken aus ihrer Sicherheit und sie in den Himmel hineinlocken. Es redet daher nur der Zorn der Liebe aus ihm, wenn er bald den Papst, bald den Kaiser, bald die gesammte Geistlichkeit, bald die Großen dieser Erde in überfließender Rede schilt. Der Zweck seines Gedichtes ist mithin durchaus religiös sittlich, und wenn er hie und da dem Ghibellinenthum das Wort redet, so geschieht das nur, weil er von der Wohlthätigkeit nicht bloß, sondern auch der Rechtmäßigkeit der weltlichen Herrschaft des Kaisers neben der geistlichen des Papstes (S. XXXVI) auf das innigste überzeugt ist. Das beweisen viele Stellen im Gedichte selbst (Fegef. 6, 76-126), vor allem aber seine Schrift de Monarchia. Es ist mithin rein unbegreiflich, wie man dieses Werk religiöser Begeisterung, wenn auch nur theilweise, zu einem Erzeugniß politischer Wuth hat machen können.

5. Grundriß des Ganzen im Allgemeinen.

     Dante hat nicht, wie Milton und Stilling, den Schauplatz seiner Geisterscenen undichterischer Weise in die nebelhafte Unendlichkeit hineinverlegt, wo die ermattete Phantasie, wie der Vogel auf hohem Meere, vergebens einen Ruhepunct sucht. Die Kirchenlehre seiner Zeit hatte auch schon den Aufenthaltsort der abgeschiednen Seelen zum Theil festgesetzt, zum Theil angedeutet, und das dogmatische Bewußtsein seiner Zeitgenossen konnte und wollte er nicht beleidigen, wie es Klopstock an mehrern Stellen seines Messias zu seinem Schaden gethan hat. Thom. Aq., dem Dante folgt, versetzt die Hölle nach Vorgang von Augustin und Andern in die Erde, in deren Mitte er sich eine große Höhle denkt, einmal, weil so die Seelen, die auf das Fleisch gesäet haben vom Fleische das Verderben ernten, d.h. die Versenkung desselben in die Erde theilen, einmal, weil die Trauer der Seele der Schwere des Körpers entspricht, die Schwere aber nach unten zieht. "Und nach der Erde zieht mich die Begierde" (Wallenstein bei Schiller). - In Bezug auf die Oertlichkeit des Fegefeuerberges fand Dante nichts Bestimmtes vor. Er verlegte es auf die damals für unbewohnt gehaltene westliche Halbkugel der Erde, wo er sich, und zwar auf dem gegenfüßlerischen Puncte des Höllencentrums, - denn Sünde und Buße sind in der That Gegenfüßler, - einen himmelanstrebenden, von den Wellen des unbekannten Weltmeeres bespülten Berg denkt, zu welchem, weil der Weg, der zum Leben führt, schmal ist, ein enger Gang aus dem Mittelpunct der Hölle hinaufleitet. - Auf den Gipfel des Fegefeuerberges versetzt er nun das irdische Paradies, was mit der Andeutung des Thomas Aquinas wörtlich zusammentrifft, daß die Oertlichkeit des irdischen Paradieses von unserm Wohnplatz (S. XXXVII) durch gewisse Hindernisse der Berge oder der Meere abgeschlossen sei (1, 102, 2-3). Auch darin ist Dante mit Th. A. einig, daß das irdische Paradies ziemlich dicht unter der Mondsphäre liegt, der Grenze des himmlischen. So bildet es denn die Schwelle zum Himmel, von der die ersten Menschen, wenn sie nicht von der ursprünglichen Gerechtigkeit gewichen wären, alsbald in den Himmel hätten entschweben können (Fegef. 28, 93 per arra).

     Nun aber ist es für das Menschengeschlecht verloren gegangen; die Sünde liegt wie ein großer Berg dazwischen (Fegef. 2, 221; 3, 99), über den man nur durch die Buße kommt. Gleichwohl bleibt es das ewig geahnte, ersehnte, und gesuchte Ziel der Menschheit, und der sehnsüchtige Heide hat es das goldene Zeitalter genannt (Fegef. 28, 139-141). - Den Grundriß des himmlischen Paradieses fand unser Dichter im Th. A. vor (68, 4); danach ist der oberste Himmel das Empyreum, das an sich selber ewig unbeweglich ist, da ja der dreieinige, von keiner Sehnsucht nach irgend etwas außer ihm Liegenden bewegte Gott darinnen wohnt (Par. 1, 121), und das gleichwohl allen andern, von ihm umschlossenen Sphären die Bewegung mittheilen muß, da ja nur von dem, der das Leben ist, das Leben ausgehen kann. Darauf folgt die erste bewegliche Himmelssphäre, der Crystallhimmel, der, wie jener durchaus licht (lucidum), durchaus durchsichtig ist (diafanum), - ein Beweis, daß er sich zum Empyreum rein empfangend verhält, - so daß nun das unerschaffene Licht, in welchem der Dreieinige wohnt, wie durch eine ungeheure Crystallwölbung, wenn auch gebrochen, in die sichtbare Welt hereinfällt. Nun kommt der Gestirnhimmel, der sowohl durchsichtig, als selber licht ist, denn an ihn hat Gott das erschaffene Licht, den Abglanz des ewigen, gebunden, damit es auf die an sich dunkle Erde, die nach dem Ptolemäischen Systeme im Mittelpuncte des Weltalls ruht, herableuchte. Der Gestirnhimmel selbst zerfällt wieder in den Fixsternhimmel und in die sieben Planetenhimmel: Saturn, Jupiter, Mars, Sonne, Venus, Merkur, Mond, wovon die in der Mitte stehende Sonne, nach oben und (S. XXXVIII) unten hin gleichmäßig leuchtend (Fegef. 4, 63), den Gott des Lichtes für die Bewohner der Erde am deutlichsten abspiegelt (specchio). Diese neun Himmelssphären kreisen, weil mit ewigem Mangel (defectu) behaftet, in ewiger Sehnsucht, geregt von der allgenugsamen Dreieinigkeit, deren Zahl sie in der Neun, davon die Wurzel drei ist, zwiefach an sich tragen.

6. Die Hölle insbesondere.

     Um uns mancherlei Weitschweifigkeiten, welche die Sache am Ende doch nicht deutlich machen, zu ersparen, haben wir hinten eine Tabelle beigefügt, zu der wir hier einzelne Erläuterungen und Bemerkungen geben.

a. Die Hölle in ihrem Verhältnisse zum Fegefeuerberge
und zu Zion.

     Die Hölle nennt Dante das Grab des Belzebub, der, weil er den reifenden Einfluß des göttlichen Lichtes nicht abwartete, aus dem äußersten Umkreis des Weltalls, in den Mittelpunct, der voll Eis- und Todeskälte ist, wie das Empyreum voll Licht- und Lebenswärme, unreif herabfiel (P. 19, 46-49). Mit dem Nabel hängt er im Mittelpuncte fest, dergestalt, daß er nach unten und nach oben hin von Gott, den er in jeder Neigung floh, auch örtlich gleich weit entfernt haust, und wie er mit dem giftigen Stachel der Sünde das Herz der Welt wurmstichig macht, so den materiellen Kern der Erde, als eines ungeheuren Apfels, wurmartig durchbohrt (H. 34, 108).

     Ueber dem Höllenmittelpunct erhebt sich in der Mitte der unbewohnten Erdhalbkugel der Läuterungsberg mit dem irdischen Paradiese, wo Adam gelebt, auf seinem Gipfel, und ebenfalls über dem Höllenmittelpunct in der Mitte der bewohnten Erdhalbkugel der Berg des Heils, Zion.

     So hat die göttliche Weisheit, die den Fall des nacherschaffnen Menschen voraussah, mit dem Falle zugleich die Erlösung in den Weltplan aufgenommen und mit wahrhaft mütterlicher Liebe schon vor dem Falle Anstalten zur Ausführung ihres heilsamen (S. XXXIX) Rathes getroffen. Denn als der ursprüngliche Plan des Schöpfers, die Wohnung des Menschengeschlechtes auf die westliche Halbkugel zu verlegen, durch den Sturz des Satans gestört wurde, indem das trockne Land von dort erschrocken auf die östliche herüberfloh (H. 34, 121 etc.) so benutzte Gott die aus der nächsten Umgebung des Satans nach der westlichen Halbkugel emporfliehende Erdmasse zur Bildung eines Berges, auf dessen Gipfel er, wie der Adler seinen Jungen auf hohem Horste (Fegef. 28, 97), dem jungen Menschengeschlechte sein Nest, möglichst weit vom Satan im Erdmittelpunct hinweg, möglichst nahe an die Himmelssphären hinan, bereitete und so die durch den Satan bewirkte Unordnung auf der Stelle wieder in's Gleichgewicht brachte. Zu gleicher Zeit aber gründete er Zion inmitten der trocknen Erdhälfte, damit der seines Ungehorsams wegen aus dem Paradiese zu verstoßende Mensch dereinst seine Augen emporheben könnte zu "einem Berge, von welchem ihm Hülfe kommt". Und als nun die Zeit erfüllet war, so mußte der Heiland an eben dieser Stätte des Heils das Heil für die abgefallene Menschheit vollenden, indem er sterbend über dem Höllenmittelpunct schwebte, wo die alte Schlange sitzt, der er, "den Kopf zertrat, während sie ihm in die Ferse stach". Dabei zerfiel die Hölle in den Regionen der Gewaltthätigkeit und der Arglist, die zusammen den Herrn an's Kreuz gebracht, in Trümmer (H. 12, 31-45, 21, 112-114), und der Ueberwinder des Todes zerbrach bald darauf bei der Höllenfahrt auch die Riegel der Höllenpforte (H. 8, 124-26).

     So hat Christus, der zweite Adam, das Paradies, das der erste verloren, der Menschheit wieder gewonnen; aber der Weg dahin führt zuerst in die Tiefe der Hölle, d. i. der Sündenerkenntniß, sodann die Steile des Läuterungsberges, d. i. der Buße, hinauf. Dazwischen liegt der schmale, aus der Hölle zum Fegefeuerberge hinaufführende Gang, der, wie die Hölle, einen Erdhalbmesser mißt (H. 34, 127): was, wenn es etwa von Bedeutung sein sollte, recht gut den Sinn haben könnte, daß zwischen Sündenerkenntniß und wahrhaftiger Buße eine eben so große (S. XL) Kluft befestigt ist, wie zwischen Sündensicherheit und Sündenerkenntniß 08.

b. Die natürliche Beschaffenheit der Hölle.

     Wie der Kern, so die Schale, eben weil "Natur weder Kern, noch Schale ist", d. h. weil Innres und Aeußres nicht zwei einander wildfremde Dinge sind, sondern sich innig auf einander beziehen, indem sich das Innere in dem Aeußren gewissermaßen veräußert und das Aeußere in dem Innern verinnert. Darum ist es auch in einem gewissen Sinne richtig: Wie der Geist, so der Leib, und noch weiter ausgedehnt, wie der Bewohner, so das Haus. Denn wir haben, so zu sagen, eine doppelte Schale: den die Seele bekleidenden Leib, als die mehr innere, und die Seele und Leib umfangende Oertlichkeit, als die mehr äußere.

     Für die Erde, als die Behausung der Sünder, die sich sollen zur Buße leiten lassen, ziemt sich ein beständiger Wechsel von Reiz und Schrecken: für die Hölle, als den Wohnplatz der entschieden unbußfertigen Sünder, gehören ununterbrochene Schauer. Wesen, die den ewigen Ruin in sich tragen(H. 9, 79), müssen, - das verlangt das Gesetz der Harmonie, - auch in ewigem Ruin wohnen. Der Verzweifelnde kann an lieblichen Orten, die zu seiner Gemüthslage nicht stimmen, nicht wohl ausdauern; er ergeht sich am liebsten an öden, schaurigen Plätzen, wo er in der umgebenden Natur sich selbst wiederfindet. So würden auch die Unseligen in paradiesischen Gefilden nur einen Zuwachs an Qual gewinnen, und man kann wohl sagen, daß die Schauer der Hölle in einem gewissen Sinne für sie eine Wohlthat sind.

     So beschreibt nun auch Dante die Hölle als eine rauhe Ruine, wo die, welche die Finsterniß mehr geliebt, denn das Licht (Joh. 3, 19), in sonne- und sterneloser Finsterniß wohnen (Matth. 8, 12), die nach unten hin immer stärker wird 09. (S. XLI) Uebrigens zieht sich durch die höllische Finsterniß noch immer ein schwacher Lichtschimmer hindurch, damit die Verdammten zur Mehrung der Qual sich gegenseitig sehen, wie auch Thomas Aquinas annimmt, der in dieser Beziehung von den Unseligen behauptet, daß sie die Bilder der Schmerzen umher "sub quadam umbrositate" erblicken 10. Th. A. erklärt sogar, daß dem Feuer, das er sich durch die ganze Hölle verbreitet zu denken scheint, die Eigenschaft des Leuchtens fehle, indem er wohl an Weisheit 17, 5 denkt, wo es heißt, daß das Feuer ihnen mit keiner Macht zu leuchten vermochte 11.

     Zu der Finsterniß, die sich durch die ganze Hölle hindurchzieht, gesellt sich tiefer unten das Feuer, das nicht verlischt (Marc. 9, 44; Matth. 3, 12), in Bezug auf diejenigen, die sich an dem Funken des göttlichen Geistes in uns oder an dem göttlichen Geist des Lichtes über uns versündigt haben, als reine Flamme, und in Bezug auf diejenigen, die sich von der Hitze der Leidenschaft haben hinreißen lassen, als andern Dingen beigemischte Glut. Zu den letztern gehören die jähzornigen, die im heißen Styx, und die Blutvergießer, die im siedenden Phlegeton büßen; zu den erstern sind zu rechnen die Ketzer, die den Geist in sich dämpfen wollten, und um die er nun als ewige Flamme schlägt; ferner die Lästerer, die wider den göttlichen Geist murrten, der nun Feuer auf sie herabregnen läßt (XLII) (4. Buch Mosis 11, 1); sodann die Simonisten, die den heiligen Geist durch Er- und Verkauf von Kirchenämtern betrübten (Apostelg. 8, 18), und denen er nun, weil sie das Himmlische in das Irdische herabgezogen und aus oben unten gemacht haben, auf die Sohlen brennt, während sie selbst mit dem Kopf in der Erde stecken; endlich die falschen Rathgeber und vorwitzigen Forscher, die mit dem verliehenen Lichte des Geistes Muthwillen trieben, das ihnen nun, wie unvorsichtigen Kindern, über dem Kopf rettungslos zusammen schlägt (Jes. 50, 11).

     In der äußersten Höllenregion endlich finden wir Eis mit Heulen ind Zähnklappen, nach dem Worte Matth. 8, 12: "Werfet ihn hinaus in die äußerste Finsterniß, da wird sein Heulen und Zähnklappen", denn da haust Satan, der personificirte Egoismus, der, durch und durch kalt, die Seele zusammenschnürt, wie der Frost das Wasser; Satan, der absolut Böse, und insofern das Gegenbild Gottes, der im Empyreum, wie in einem Meer von Licht und Wärme schwimmt.

     Aber die ganze Hölle durchzieht ein großer Fluß in vier Windungen, davon die erste, der freudelose Acheron, das ganze Höllengebiet eingrenzt, die zweite, der gehässige, verdrießliche Styx als Sumpf die Höllenfestung vertheidigt und das Gebiet der Höllenaußenwerke abschließt, die dritte, der brennende Phlegeton, als Blutsee die Schwelle zu den drei Regionen der Höllenstadt bildet, die vierte, der kalte Cocytus, in der Spitze des Höllentrichters erstarrend, das ganze Höllengebiet beschließt. Das sollen wahrscheinlich die 2. Samuel. 22, 5 erwähnten Flüsse Belial's sein, welche die Todten in der Hölle umstricken. Aber sie nehmen ihren Ursprung in der Oberwelt auf dem zwischen den drei damals bekannten Erdtheilen gelegnen Eiland Creta, dem wahrscheinlichen mythologischen Schattenbilde des nun verwüsteten Paradieses, und zwar aus dem Zusammenfluß aller Thränen, welche die Menschheit je geweint hat und weinen wird, nachdem die Sünde in die Welt gekommen. So folgen den Sündern die Thränen des Elends, die nach Gottes gütigem Willen auf der Erde (S. XLIII) gar nicht geweint werden sollten 12, in die Hölle nach, wohin sie gehören, und legen sich zuletzt als Eisschollen um den Satan herum, der die Sünde und mit ihr die Thräne in die Welt gebracht hat (H. 34, 36). Eben so fließen auf dem steilen Gange, der sich aus dem Mittelpuncte der Hölle nach der entgegengesetzten Seite emporwindet, die Thränen der Buße als Schlacken in die Hölle zurück, wohin nach Th. A. dereinst alle Schlacken der Welt geschafft werden, wo es denn noch im vollern Sinne wahr wird, was Dante Hölle 7, 18 sagt: "Das in sich sackt der Welt gesammte Plagen", wenn die Worte nicht vielmehr so zu verstehen sind, wie wir sie an der betreffenden Stelle erklärt haben 13.

c. Vertheilung der Höllenbewohner.

     Die Hölle, welche die Sünder in ihren Strudel hinunterreißt, ist ein ungeheurer, von der bewohnten Erde überwölbter Trichter, dessen Spitze im Mittelpuncte der Erde steht. So trägt denn die Hölle gleich in ihrer Gestalt das Bild der sich stufenweise verengenden Selbstsucht an sich. Die verschiednen Kreise der Hölle liegen amphitheatralisch an der innern Seite des Trichters. Sie sind, je weiter nach oben, je geräumiger, je weiter nach unten, je enger, was wiederum einen sehr guten Sinn giebt, da es der in den obern Kreisen gestraften leichtern Verbrecher bei weitem mehr giebt, als der in den untern Kreisen büßenden schwerern. Die neun Höllenkreise entsprechen offenbar den neun beweglichen Himmelssphären, und wie jene auf die Dreieinigkeit hinweisen, so diese, denn auch in der Hölle offenbart sich der dreieinige Gott als in seinem Schöpfungswerke und zwar von Seiten seiner Gerechtigkeit (H. 3, 4-6 und Anmerkung) 14. (S. XLIV) Ueber diese neun Höllenkreise herrscht Satan, wie Gott über die neun beweglichen Himmelssphären, und so hat denn der, der neben Gott regieren wollte, allerdings ein Nebenreich, aber freilich nur als Zerrbild, bekommen, denn wie Gott vermöge herzerweiternder Liebe in den weitesten Umkreis hinaufzieht, so zieht der Satan vermöge herzverengender Selbstsucht in den Mittelpunct hinunter. Wundern könnte man sich, daß dem Fegefeuerberge nicht, wie dem Himmel und der Hölle, die Neun aufgeprägt ist; allein wenn man bedenkt, daß das Fegefeuer zwischen Himmel und Erde in der Mitte steht, und durchaus nicht den Charakter des Ewigen, sondern des Vorübergehenden an sich trägt, so wird man es ganz natürlich finden, daß der Dichter die Neun, dem Charakter des Fegefeuers gemäß, das alle Schlacken hinwegnehmen soll, in eine Sieben, die Zahl der Heiligung, verwandelt hat. - Uebrigens ist noch zu bemerken, daß in der Hölle sowohl als in dem Fegefeuer und im Himmel zuletzt doch eine Zehn, die Zahl der Vollkommenheit, herauskommt, wenn man in der Hölle den Vorhof, im Fegefeuer die drei Vorstufen, und im Himmel das Empyreum, den gemeinschaftlichen Sammelplatz aller Seligen, mitzählt.

     Jetzt von der Vertheilung der Verdammten in die neun Kreise. Dante folgt in der Grundlage dem heidnischen Aristoteles, der eben so gut wie der heidnischen Virgil für die Hölle ausreicht. Aristoteles nämlich nennt als die drei Arten dessen, was in den Sitten zu fliehen sei, die Unenthaltsamkeit, die viehische Gewaltthätigkeit, die Bosheit Ethik 7, 1 (s. die Tabelle). Dante weicht aber, seinem christlichen Standpuncte gemäß, in der Würdigung derselben insofern ab, als er die Bosheit, von ihm Arglist (froda) genannt, am tiefsten stellt, während Aristoteles der viehischen Gewaltthat, seinem Begriff von der menschlichen Würde gemäß, den untersten Platz anweist (H. 11, 26 u. Anmerk.). Er sagt: "Den Menschen, (S. XLV) welche die andern an Schlechtigkeit übertreffen, geben wir diesen schimpflichen Beinamen 15". Zu bemerken ist noch, daß Dante die Gewaltthätigkeit und die Arglist unter dem weitern Begriffe "Bosheit (malizia)" zusammenfaßt und sie so der Unenthaltsamkeit entgegenzustellen scheint, indem die letztere zunächst nur dem selber schadet, der sie übt, die beiden erstern dagegen das Wohl des Nächsten unmittelbar beeinträchtigen (H. 11, 22-24).

     Was die Unenthaltsamkeit betrifft, so ist Dante, der ihr in den Höllenaußenwerken den Ort anweist, mit Aristoteles einig, der sie ebenfalls gelinder beurtheilt, da nach ihm im Unenthaltsamen die Vernunft mit der Leidenschaft nur im Kampfe liegt, während im Boshaften das sittliche Urtheil verderbt und im viehisch Gewaltthätigen ganz und gar vernichtet ist.

     Auffallend ist nur, warum Dante von den sieben Todsünden, "Wollust, Schlemmerei, Habsucht, Trägheit, Zorn, Neid, Hochmuth" die zwei letztern wegläßt, die noch nach Aristoteles auch (S. XLVI) zur Unenthaltsamkeit gehören würden, indem sich, der Meinung desselben gemäß, die Unenthaltsamkeit im engern Sinne zwar nur auf die fleischlichen Genüsse, die in der Berührung und in dem Geschmacke liegen (Wollust, Schlemmerei), im weitern Sinne aber auf alle Güter bezieht (als z. B. Geld, Ehre etc.), in deren Erstrebung man das rechte Maaß verfehlen kann, und es ist um so auffallender, als Dante von der Unenthaltsamkeit im weitern Sinne zwei Arten, die Geldsucht und den Jähzorn, in der That aufgenommen hat. Allein aus Fegef. 17, 133-140, vergl. mit 96, 89 erhellt, daß Dante nur drei untergeordnete Güter annimmt, in Bezug auf welche die Liebe ein richtiges Maß zu halten habe: die Geschlechtslust, die Nahrung und das Geld, und daß mithin nach ihm Wollust, Schlemmerei und Mißbrauch des Geldes die drei Arten der Unenthaltsamkeit sind. In dem Zorne, dem Neide und Hochmuthe verfehlt, ihm zufolge, die Liebe, die "alles Guten und Bösen Ursprung ist" nicht sowohl des rechten Maaßes, als vielmehr des rechten Gegenstandes, indem sie auf das Uebel des Nächsten gerichtet ist. Warum nimmt er nun aber den Jähzorn und mit diesem zugleich die Trägheit hinzu, wenn doch beide in der Unenthaltsamkeit nicht mit einbegriffen sein sollen? Antwort: weil sie, da die Trägheit nicht gern thut, was gut ist, und der Zorn gern thut, was nicht recht ist, den Uebergang zur Gewaltthätigkeit bilden. Zorn und Blutvergießen liegen nahe beieinander, darum heißt es H. 24, 129: "Ich kannte ihn doch als Zorn- und als Blutmenschen". So schließt sich mit dem trüben Styx die Abtheilung der Unenthaltsamen und mit dem blutigen Phlegethon eröffnet sich die der Gewaltthätigen.

d. Die Strafen der Verdammten.

     Die hauptsächlichsten Meinungen der Menschen in Bezug auf Belohnung und Bestrafung des menschlichen Verhaltens kann man etwa unter folgende Klassen bringen. Erste Meinung: Es giebt weder Himmel noch Hölle (Materialisten). Zweite Meinung: Es giebt einen Himmel und eine Hölle, aber sie sind diesseitige (Pantheisten). Dritte Meinung: Himmel und Hölle (S. XLVII) sind jenseitig, aber mit fließendem Gegensatze (Rationalisten). Vierte Meinung: Der Gegensatz ist zwar nicht fließend, aber doch auch nicht ewig (Apokatastatiker). Fünfte Meinung: Der Gegensatz ist zwar ewig, aber nur in geistiger Fassung (Spiritualisten). Das Wort Gottes dagegen dringt auf geistige und leibliche Fassung zugleich (Matth. 10, 28). Ebenso Dante. Mit gefangen, mit gehangen. Hat der Leib mit gesündigt, so muß er auch mit gestraft werden, sagt Th. Aq. Nun läßt sich aber die leibliche Strafe in doppelter Weise denken. Th. A. sagt: "Gleichwie die innere Freude auch an die äußern Theile des Leibes heraustritt, so wird der innere Schmerz an die äußern Glieder herausgetrieben, weßhalb es Sprüchw. 17, 22 heißt: "Ein betrübter Muth vertrocknet das Gebein." In diesem Sinne ist die leibliche Strafe bloßer Widerschein der geistigen, sie nimmt ihren Ursprung im Innern und theilt sich dem Aeußern mit. Etwas ganz andres ist es, wenn sie von außen her kommt und nach innen geht, wie denn die Verbindungsstraße zwischen Leib und Seele vor- und rückwärts gangbar ist. Es liegt am Tage, daß, strenggenommen, nur diese letztere Art der Strafe leiblich zu nennen ist. In diesem Strengen Sinne sind nun auch die leiblichen Höllenstrafen bei Dante zu nehmen, wie die angehängte Tabelle hinlänglich zeigt.          

     Den Stoff der Strafen nahm Dante theilweise aus der Bibel. Sirach 39, 33-34 kommen Stürme (Tab. 2), Weish. 16, 16. Regen und Hagel (Tab. 3), Marc. 9, 46 u. s. w. Feuer (Tab. 6, 7 u. s. w.) Offenb. 16, 6. Blut (Tab. 7), Jerem. 15, 3 Hunde (Tab. 7), Sirach 39, 36 Schlangen und Schwert (Tab. 8), 4. B. Mos. 28, 22 allerlei Krankheiten (Tab. 8), Matth. 13, 50 Frost (Tab. 9) als Strafen der Verdammten oder der Gottlosen auf Erden vor.

     Der allgemeine Grundsatz zur Erfindung des Strafstoffs ist Sirach 39, 30 ausgesprochen: "Alles, was vom Anfang geschaffen ist, das ist den Frommen gut, aber den Gottlosen schädlich", und damit übereinstimmend Weish. 5, 21: "Die Welt wird mit ihm zum Streit ausziehen wider die Unweisen", welchen (S. XLVIII) letztern Spruch auch Th. A. anzieht, um die Leiblichkeit der Höllenstrafen zu erweisen.

     Was aber den obersten Grundsatz zur Anordnung des Strafstoffes betrifft, so fand ihn Dante Weish. 11, 17 vor: "Womit Jemand sündiget, damit wird er geplagt (Luc. 6, 38)". Auch diese Worte citirt Th. A., um die Leiblichkeit der Höllenstrafen zu belegen und zwar so, daß er sagt: "Die Menschen sündigen mit den sichtbaren Dingen dieser Welt; darum ist es recht, daß sie damit gestraft werden". Beispiele von solchem Zurückprallen der Sünde auf das Haupt des Sünders, von solchem Messen mit demselben Maße finden sich in der Bibel häufig. 2. B. Mos. 1, 22 vergl. mit 14, 27. - 1. B. der Richter 1, 7. - 1. B. Samuels 15, 33. - 2. B. Samuelis 12, 11-12. - 1. B. der Könige 21, 29. - 2. B. der Könige 14, 5. - Esther 7, 10 - Daniel 6, 24. - Joel 3, 9. - Obad. 15. - 2. B. Macc. 5, 9. - Obigen Spruch nun hat Dante nicht so verstanden und konnte ihn nicht so verstehen, daß in allen Fällen die begangene Sünde die zu verhängende Strafe sein müßte, wie etwa, wenn sich die Zornigen im Styx prügeln, denn das wäre in Bezug auf viele Sünden geradezu undenkbar und wo nicht undenkbar, doch undarstellbar, und wo nicht undarstellbar, doch am Ende unplastisch gewesen. Dante hat aus jenem Spruche nur die allgemeine Idee herausgenommen, daß zwischen der Sünde und der Strafe ein gewisser Zusammenhang statt finden müsse. Dieser Zusammenhang stellt sich nun auf die mannigfachste Weise dar, entweder in einem Verhältnisse von Ursache und Wirkung, wie z. B. wenn die Selbstmörder, die den menschlichen Organismus weggeworfen, an einen niedern, den Pflanzenorganismus gebunden erscheinen, oder in einem Verhältniß von Innerm und Aeußerm, wie z. B., wenn die Wollüstigen, die von ihren Leidenschaften hin und her gerissen werden, im Sturm umherflattern, oder auch in einem Verhältniß von Sache und Bild, wie z. B., wenn die Trägen sich im Schlamme umher wälzen. Diese letztere Art von Zusammenhang, den man symbolisch nennen könnte, ist in den Danteschen Strafen vorwaltend. Ganz in (S. XLIX) Uebereinstimmung damit wird uns von den Geißlern berichtet: "So sü woltend anvohen zu büßende, so leiten sü sich nieder an einen witen ring und wernoch jeglicher gesundet hatte, dernoch leit er sich. Waz er ein meineidiger Boswicht, so leit er sich uf eine site und recket sine drei finger über das houbet herfür. Waz er ein ehbrecher, so leit er sich uf den Buch". - Also auch eine symbolische Darstellung der Sünde zum Bekenntniß und zur Buße, wie in der Hölle zur Schande und zur Strafe.

     Nun noch ein Wort über die so genannten geistigen Strafen der Unseligen, oder über ihre innere Stimmung. Diese läßt sich in wenig Worten charakterisiren. Ohnmächtiger Haß gegen Gott, wenn sie ihn auch im Leben, so lange es gut ging, in sentimentalen Anflug den Gott der Liebe nannten; grundloser Neid über die Bevorzugung der Seligen, deren Glück sie nicht verstehen, und wenn sie's verständen, nicht theilen möchten, da Weihrauch streuen und Psalmen singen, wie Milton den Teufel sprechen läßt, für sie langweilige Geschäfte sind; unerquickliche Zwietracht unter sich selber, wie denn der natürliche Mensch seine üble Laune schon hier auf Erden an Andern auszulassen liebt; fortwuchernde Sündenlust ohne die geringste Aussicht, sie jemals zu befriedigen. Alle diese Seelenzustände werden von Dante, der, vermöge seiner wahrhaft künstlerischen Neigung zur Plastik, das Innere lieber im Aeußern erfaßt und darstellt, nur gelegentlich angedeutet.

     Th. A. sagt: "Jene aber, die in der Hölle sind, ermangeln der Reue, weil, wenn sie auch den Schmerz haben, ihnen doch die Gnade fehlt, die dem Schmerze die rechte Gestalt giebt." Sie sind also in einer Gemüthsverfassung, die das Wort Gottes Traurigkeit der Welt nennt, im Gegensatze zur göttlichen, die eine Reue wirkt, die niemand gereuet, d. h. wie Th. A. sagt: "sie fliehen die Strafe, aber die Sünde wollen sie". Und hierin besteht eben die von Th. A. und Dante sogenannte "fruchtlose Reue (11, 42)" der Verdammten, die auch in der Weish. K. 5 geschilderten (L) Selbstanklage der Unseligen auftritt. Es ist klar, daß neben solcher weltlichen Reue eine gewisse Selbstgerechtigkeit recht wohl bestehen kann, die die Schuld des etwaigen Unrechtes, wenn nicht auf Gott selbst, auf den Nächsten, oder auf die Umstände schiebt. Uebrigens schildert uns Dante die Verdammten keineswegs als jedes natürlich Guten baar; man sieht noch hie und da eine Spur von übrig gebliebener Temperamentstugend, als z. B. eine gewisse Dankbarkeit (H. 5, 88). So sagt auch Th. A., daß bloß die Willensentschließung (voluntas deliberativa) durchaus böse sei, die Willensregung aber (voluntas naturalis) in einem gewissen Sinne gut sein könne, nur daß, wenn sie auch etwas Gutes wollten, sie es doch nicht auf die rechte Weise wollten.

     7. Die drei Führer des Dante: Beatrice, Virgil,
Bernhard von Clairveaux.

     Daß Beatrice, die sich den Dante von Virgil zuführen läßt, um ihn selbst wieder an Bernhard zu übergeben, Sinnbild der im Christenthume geoffenbarten göttlichen Weisheit oder der Theologie sei, ist schon durch mehrere Stellen in der göttlichen Komödie selbst so gut wie ausgemacht (Fegefeuer 18, 46-48); die Vita nuova aber und der Convito setzen es vollends außer Zweifel, denn da sieht man offenbar, wie sich dem Dichter die Gestalt seiner frommen Jugendgeliebten allmählig in das Bild der göttlichen Weisheit verklärt. Fegef. 33, 10 wendet sie die Worte Christi, als der in's Fleisch geborenen göttlichen Weisheit: "Ueber ein Kleines, so werdet ihr mich nicht sehen und aber über ein Kleines, so werdet ihr mich sehen", geradezu auf sich an, um damit anzudeuten, daß sie, die göttliche Weisheit, die in dem entarteten, menschliche Weisheit predigenden Papstthum für eine Weile unsichtbar gewesen, über ein Kleines wieder sichtbar werden würde durch eine Reformation desselben. Dazu stimmt das Sonnett, das Dante im Jahre 1300 an die durch Florenz nach Rom ziehenden Pilger richtete, worin es heißt: "Verloren hat sie ihre (S. LI) Beatrice" 16. Vergl. auch F. 31, 130, wo die drei sogenannten theologischen Tugenden: Glaube, Liebe, Hoffnung, die Beatrice singend umtanzen.

     Daß Virgil, im Gegensatze zu Beatrice (Fegef. 18, 46-48), der Inbegriff aller menschlichen Weisheit sein werde, leuchtet von vorn herein ein. Er gehört ja zu den glorreichen Heiden, deren siebenfach ummauertes Castell offenbar hindeutet auf die drei intellectuellen Tugenden: Verstand, Wissenschaft und Weisheit (intellectus, scientia, sapientia) und auf die vier moralischen sogenannten Cardinaltugenden: Klugheit, Gerechtigkeit, Mäßigkeit, Stärke (prudentia, justitia, temperantia, fortitudo) oder auch auf die drei niedern Wissenschaften: Grammatik, Dialektik, Rhetortik (Trivium) und die vier höhern: Arithmetik, Musik, Geometrie und Astrologie (Quadrivium). Ueber diese sieben Wissenschaften stellt Dante in der allegorischen Auslegung der ersten Canzone des Convito Physik, Metaphysik und Moral, zusammengenommen wohl die Philosophie im engern Sinne, die, als die höchste Blüte der natürlichen Kraft des Menschengeistes, Virgil , von dem H. 4, 73 gesagt wird: "Der du jed' Wissen, jede Kunst errungen und sie geziert hast", mit in sich begreift. Nach Th. Aq. verhält sich nun die durch natürliche Kraft unter göttlicher Mithülfe zu erwerbende Weisheit oder Philosophie im weitern Sinne zu der himmlischen Weisheit oder Theologie, wie das Unvollständige zu dem Vollständigen, die Vorbereitung zur Vollendung. Dante deutet das in jener obenangeführten Auslegung der ersten Canzone dadurch an, daß er die sieben Trivial- und Quadrivial-Wissenschaften in die sieben Planetenhimmel, (S. LII) die Physik und Metaphysik in den Fixsternhimmel, die Moral in den Crystallhimmel, die Theologie aber in den obersten Himmel, in das Empyreum, allegorisch versetzt. Darum führen denn auch Fegefeuer 31, 106-130 die vier moralischen Tugenden, die vor Beatrice in der Welt waren, wie sie selbst sagen (107), als Mägde derselben (108), den Dichter zur Beatrice (113), wo sich dann erst die drei theologischen, die vom höchsten Stamm entsprossenen, hervorthun (130-131). Vgl. auch die vita nuova, wo in einem Gesichte Johanna, auch Primavera genannt, Frau seines ersten Jugendfreundes, eines berühmten Philosophen, und eben deßhalb Symbol der menschlichen Weisheit, dem Dichter vor seiner Beatrice erscheint. Amor bezieht obigen Beinamen Primavera (prima verrá) ausdrücklich auf dieses frühere Kommen der Johanna und findet nun wieder in ihrem eigentlichen Namen eine Anspielung auf Johannes den Täufer, welcher dem wahrhaftigen Lichte (der in's Fleisch geborenen göttlichen Weisheit nämlich) voranging, indem er sagte: "Ego vox clamantis in Deserto; parate viam domini".

     Offenbar stellt Dante hier die menschliche Weisheit als die Vorläuferin und Vorbereiterin der himmlischen, oder der Theologie, dar. In der göttlichen Komödie scheint Virgil die Stelle jener Johanna oder Primavera, ebenfalls mit bestimmter Anspielung auf Johannes den Täufer, einzunehmen. Virgil ist auch die Stimme eines Predigers in der Wüste (H. 1, 65, nel gran diserto; s. Anm. dazu); und wie Johannes von sich voraussagte: "Er muß wachsen, ich aber muß abnehmen (Joh. 3, 30)", so sagt auch Virgil von sich: "Mit ihr lass' ich allein dich, und ich fliehe", und tritt dann, sobald Beatrice erscheint, eben so geräuschlos von dem Schauplatze ab (Fegef. 33, 43-51), als Johannes, dem nach ihm kommenden würdigern Geiste weichend (vergl. H. 1, 122: "Ein würdigerer Geist wird dann dein Führer" mit Joh. 1, 27: "Der ist's, der nach mir kommen wird, welcher vor mir gewesen ist, deß ich nicht werth bin, daß ich seine Schuhriemen auflöse"). (LIII)

     Daß Bernhard die mystische Contemplation bedeutet, liegt am Tage; einmal weil er selbst mehrere Male contemplante genannt wird, einmal weil er dem Dichter zur Anschauung des dreieinigen Gottes verhilft, wozu nach Bernhard der einfache Glaube (fides; vergl. Fegef. 18, 48) nicht ausreicht, sondern die Contemplation hinzukommen muß. Es ist überhaupt nicht unwahrscheinlich, daß Dante bei der Dreizahl der Führer, die ihn von Stufe zu Stufe leiten, an die von Bernhard nach älterer Weise bestimmte Stufenleiter aller aufstrebenden religiösen Geistesthätigkeit mitgedacht habe, die ihm in einer dreifachen consideratio besteht, in einer dispensativa = opinio (Virgil), in einer aestimativa = fides (Beatrice) und in einer speculativa = contemplatio (Bernhard). Von der letztern sagt er, es sei diejenige Betrachtung, vermittelst deren der Mensch sich in sich sammelt, um Gott intellectuel anzuschauen. Darum betet auch Bernhard dem Dante vor, ehe er ihn zur Anschauung der Dreieinigkeit führt (P. 32, 147-151). Sein Wahlspruch übrigens: "Gott wird soweit erkannt, als er geliebt wird", klingt überall durch.

     Es frägt sich nur noch, aus welchem Grunde Dante gerade diese Persönlichkeiten als sinnliche Unterlage dieser drei übersinnlichen Ideen gebraucht habe. Von Bernhard, der zuerst im Gegensatze zu dem Alles in das Gebiet des Verstandes ziehenden Abälard behauptete, daß es in der Theologie eine Region gebe, wo der Glaube zurückbleibe und die Contemplation anfange, ist es klar genug; ebenso von Beatrice, deren gottseliges Leben ihn während ihres irdischen Pilgerlaufes dem gemeinen Haufen entrissen hatte (H. 2, 105; Fegef. 30. 121-123), und deren verklärtes Bild nach ihrem Tode ihn die trostlose Speculation der menschlichen Vernunft vergessen ließ und ihn in den beseligenden Glauben an die göttliche Offenbarung hineinzog. Minder klar ist es von Virgil; statt dessen sollte man auf den ersten Schein hin vielmehr Aristoteles, den Meister der außerchristlichen Wissenschaft, der im Mittelalter Alles galt, erwarten. Aber, wie auch Blanc bemerkt, Aristoteles war keine poetische Figur (LIV) den Dante "süßer Vater" (Hölle 8, 109; Fegef. 27, 52) nennen konnte, uns so würden ihre Unterhaltungen in der That etwas strohern ausgefallen sein. Neben einer geliebten Beatrice und einem gottinnigen Bernhard brauchte er durchaus einen begeisterten Dichter, dem weder gravitas sententiarum, noch ornatus sermonis abging (s. Hölle 2, 67-68). Wen konnte er da anders nehmen, als den im Mittelalter hochgefeierten Dichterfürsten seines Volkes, dem er selbst seinen schönen Styl entnommen zu haben sich rühmt, den Sänger der ewigen, heiligen Roma, der wegen einer damals allgemein allegorisch ausgelegten Ecloge auch als Prophet des kommenden Messias galt (F. 22, 64-72); den ersten vollständigen Beschreiber der jenseitigen Welt, der ihm gewissermaßen die Bahn zu seiner göttlichen Komödie gebrochen hatte. Man könnte sich bloß wundern, warum er sich auch durch das Fegefeuer bis in das irdische Paradies von Virgil, dem Sinnbilde der irdischen Weisheit, führen läßt.

     Wir müssen hierbei erinnern:

     1. daß Virgil im 6. Buch der Aeneis die Beschreibung der übersinnlichen Welt bis zum Elysium, das gewissermaßen ein Schattenbild des irdischen Paradieses bei Dante ist, fortführt und selbst eine Art von Fegefeuer kennt (6, 735-47);

     2. daß der Fegefeuerberg mit dem irdischen Paradiese auf seinem Rücken noch innerhalb des irdischen Bereiches, wenn auch ziemlich dicht an der Grenze der untersten Himmelssphäre liegt, weßhalb denn auch Thomas Aq. sagt: "Das irdische Paradies bezieht sich auf den Pilgerstand";

     3. daß die tiefern Heiden nicht bloß das Sündenelend der Menschen erkannt (Hölle), was das Opferinstitut bezeugt, sondern auch zum Theil eine Erlösung geahnt haben und daß namentlich Virgil nach mittelalterlicher Annahme die Ankunft des Erlösers von der Sünde (Fegefeuer) und die Wiederbringung des goldenen Zeitalters (irdisches Paradies; vergl. F. 28, 139-141) geweissagt hat.

     Uebrigens deutet Dante unverkennbar an, daß Virgil auf (LV) dem Fegefeuerberge sich mehr auf dem Gebiete der Ahnung, als der Erkenntniß befindet. er thut ungewisse und zaghafte Schritte, als wenn er daselbst nicht recht zu Hause wäre, und nennt sich 2, 61-63 selbst einen Fremdling, der keine Auskunft über den Weg geben könne. Das Thor zum Fegefeuerberge zeigt ihm Lucia, die erleuchtende Gnade, nachdem das Viergestirn der moralischen Tugenden untergegangen ist, und indem das Dreiggestirn der theologischen sich erhebt, und Engel geleiten die Wandernden von Aufgang zu Aufgang. Auf dem letzten angelangt, giebt Virgil sein Führeramt ganz und gar auf, (Fegef. 27, 127-132) und geht mit ihm als schlichter Begleiter, bis er im irdischen Paradiese plötzlich verschwindet. Wie sichre Tritte thut Virgil dagegen in der Hölle. Da heißt es: "Ich weiß den Weg!" (H. 9, 30) und nur in der Region, wo sich die Hölle durch das Erdbeben beim Tode Christi verändert hat (H. 12, 91-94); 23, 127-132), frägt er nach der Straße; denn freilich in die Tiefe der christlichen Sündenerkenntniß war er nicht eingedrungen.

8. Grundzüge zu dem Verhältnisse Dante's
zur protestantischen Kirchenlehre.

     Für denjenigen Protestanten freilich, der so gar unwissend ist in dem, was unsern Vätern das Theuerste war, daß er das Wesen des Protestantismus in die Freiheit setzt, das Wort Gottes nach eigner guter Meinung auszulegen, oder, was noch beklagenswerther ist, so grenzenlos unverschämt, die völlige Losreißung von aller geoffenbarten Wahrheit als eine nothwendige und heilsame Fortentwicklung des Protestantismus zu betrachten, ich meine, für denjenigen Protestanten, der die Lehre seiner Kirche durch eigne oder fremde Schuld verloren hat, kann eine Darlegung von dem Verhältnisse Dante's zur protestantischen Kirchenlehre weder rechten Sinn, noch rechtes Interesse haben. Obschon wir aber wissen, daß bei weitem die größre Hälfte der protestantischen Christenheit "irre gegangen ist von ihrem Glauben ", so soll uns das doch nicht abschrecken, das Verhältniß (LVI) Dante's zum Protestantismus mit der Fackel des göttlichen Wortes und der Bekenntnißschriften unserer Kirche näher zu beleuchten, zumal sich in der neuesten Zeit Stimmen in der katholischen Kirche erhoben haben, die Dante unbedingt den ihren nennen und ihn als eine Brücke betrachten, auf der die protestantischen Freunde desselben bequem in die katholische Kirche hinübergehen können 17.

     Um die etwaigen Hauptberührungs- oder Scheidepuncte zwischen Dante und den Reformatoren mit wenigen Worten festzustellen, sprechen wir zuerst von der Verfassung und sodann von der Lehre. Dante, das ist unleugbar, dringt auf eine Kirchenverbesserung an Haupt und Gliedern (Parad. 27. 46-56) und erwartet sie mit wahrhaft prophetischer Zuversicht von einer nicht gar fernen Zukunft (Fegef. 33, 12: "Ueber ein Kleines"; Parad. 27, 63: "Bald"). Danach soll der Papst, der, wie Petrus der oberste Apostel ist, allerdings der oberste Bischof (der Hirt der Kirche vorzugsweise, Parad. 5, 76; der Hirt, welcher voran geht F. 16, 98), bleibt, zur Armuth der ersten Bischöfe zurückkehrend (Parad. 27, 40-45) der weltlichen Herrschaft entsagen und dem Kaiser zurückgeben, was des Kaisers ist (Fegef. 33, 37-39), zugleich aber soll die Zucht an den Dienern der Kirche geschärft werden (Parad. 12, 118-20). Dante ist mithin kein Verächter des Papstinstitutes an und für sich (Hölle 19, 100-103), so sehr er auch gegen die Verweltlichung desselben eifert. (H. 19, 115-117; Fegef. 32, 124-129), und so freisinnig er auch diejenigen Päpste züchtigt, die es haben verweltlichen helfen, als z. B. Bonifacius VIII., Clemens V. u. s. w. Und so bleibt am Ende immer ein, wenn (S. LVII) auch geistliches Oberhaupt der Kirche, das zwar nicht an und für sich untrüglich ist ("cui non quidquid Christo, sed quidquid P e t r o debemus" Monarchia 3), - denn. Hölle 11, 7-9 finden wir einen ketzerischen Papst, der seine Einzelmeinung der Gesammtüberzeugung der Bischöfe entgegensetzte, - aber doch in Verbindung mit dem allgemeinen Concil der Bischöfe den Herrn über den Glauben der Gemeinde spielt. Dante scheint nämlich den sogenannten ökumenischen Concilien, die er doch wohl mit dem Ausdruck "principalia" verstanden wissen will (Monarchia 3), eine so gut als selbständige Autorität beizulegen. Das geht zur Genüge schon daraus hervor, daß er die Lehre seiner Kirche in dieser Beziehung auch in seinem Glaubensbekenntnisse nicht bestreitet, noch mehr aber daraus, daß er zum Unterschiede von den Kirchenlehrern, von denen er nur sagt, daß sie vom heiligen Geiste unterstützt wurden (adjutos), von den allgemeinen Concilien gradezu und ohne Einschränkung behauptet, Christus sei dabei gegenwärtig gewesen, indem er sich auf Matth. 18, 20 beruft, und somit die Verheißung, die der Kirche im Großen und Ganzen gegeben ist, an die Gesammtheit der jeweiligen geistlichen Pfleger derselben bindet, abgesehen davon, in welchem Geiste sie zusammenkommen. Das ist auf jeden Fall unprotestantisch. Unsere Bekenntnißschriften gründen ihre Autorität weder auf den Stand, noch auf die Anzahl ihrer Urheber, sondern einzig und allein auf ihre Uebereinstimmung mit der heiligen Schrift. Eine solche Uebereinstimmung der allgemeinen Concilien mit dem Worte Gottes setzt Dante allerdings voraus, - denn das alte und neue Testament steht auch nach ihm der Kirche ewig voran ("ante ecclesiam" Monarchia 3 und Par. 5, 76), - aber ihre Autorität ist nicht erst von dieser Uebereinstimmung abhängig, sondern versteht sich wegen ihres gleichen Ursprungs mit dem Worte Gottes von selbst.

     Was nun die Lehre betrifft, so haben wir vornehmlich zu beachten, wie Dante zum Formal- und Materialpricipe unserer Kirche stehe. Mit dem Formalprincipe, wonach die heilige Schrift die alleinige Quelle des Glaubens ist, scheint er durchaus (LVIII) einverstanden zu sein. Alles klingt von Bibelworten wieder, vom ersten bis zum letzten Verse, obschon selten eine bestimmte Hinweisung darauf vorkommt. Zuweilen ist die betreffende Stelle, so zu sagen, der Form nach zu Grunde gegangen, und man bekommt bloß die Essenz davon zu schmecken; zuweilen leuchten mehrere Bibelworte, sinnig mit einander in Verbindung gesetzt, aus der durchsichtigen Tiefe herauf. Ja es finden sich sogar Stellen im Gedichte, wo Dante der Bibel offenbar das Wort redet (Parad. 19, 83; 29, 88, 109-117, 12, 124; 5, 76, vergl. mit Monarch. 3); allein erstens geschieht das immer mit der unbedingten Voraussetzung, daß die Kirchenlehre als Kirchenlehre damit stimmt und stimmen muß, - verficht er doch die Autorität der Bibel allenthalben nur im Gegensatz zu den Sophismen der menschlichen Vernunft und den das Wort der Schrift untergrabenden Ueberlieferungen (Monarch. 3), - und zweitens läßt es sich nicht leugnen, daß er deßungeachtet, dem Zeitgeiste gemäß, den Philosophemen der natürlichen Vernunft allzuviel Platz einräumt und während er sie nach dem Worte Gottes umzudeuten sucht, das Wort Gottes selbst nach ihnen umdeutet, oder, wenn das nicht geschieht, dem Worte Gottes wenigstens in so fern seine selbständige Autorität schmälert, als er es für gut zu befinden scheint, demselben hie und da eine menschliche Stütze unterzubauen. So citirt er (ganz wie Th. Aq. und andre Scholastiker) z. B. den Aristoteles, - dem er Convito 4, 6 die höchste Autorität, wenn auch zunächst nur in der Moralphilosophie und mit Bezug auf andre Philosophen, ja sogar eine gewisse Catholicität beilegt, ganz in einer Weise, als verstände es sich von selbst, daß das Wort Gottes und die Philosopheme desselben übereinstimmen müßten, obschon er ihn andrerseits auch wieder nach dem Worte Gottes zu verbessern sich bemüht. Aus dem Allen folgt, daß Dante zwar dem Grundsatze nach eins ist mit dem Formalprinzipe der Reformation, es aber in der Durchführung hie und da verunreinigt.

     Wie steht es nun aber mit dem Materialprinzipe, der Rechtfertigung aus dem Glauben allein? Hierüber ist er sich (S. LIX) nicht im Klaren: die wissenschaftlich bewußte Erkenntniß dieser christlichen Grundwahrheit ist der Reformation vorbehalten gewesen. Zwar scheint es, wenn er in seinem Glaubensbekenntnisse sagt: "Und gewiß, wer mit guter Meinung vollkommen und mit aufrichtigem Glauben glaubt, wird durch sein Leiden selig", daß er mit den Reformatoren auf gleichem Grund und Boden stehe, und die bald darauf folgende Stelle "Darum beeifre sich ein Jeder Gutes zu thun und erhoffe durch Gutes thun das Paradies", ließe sich allenfals noch immer protestantisch auslegen. Allein an einer dritten Stelle seines Bekenntnisses stellt er die Genugthuung (satisfactio) geradezu als das dritte zur Erlangung der Gnade nothwendige Moment neben die Reue (contritio) und Beichte (confessio); des Glaubens aber, mittelst dessen wir uns das Verdienst Christi aneignen, wird auch mit keinem Worte gedact, ganz wie im Th. A. (Vergl. Fegef. 9, 94-111). Das ist auch ganz natürlich, denn nun hört die Rechtfertigung auf, ein Act freier Gnade zu sein, indem schon die Reue, in der, wenn sie aufrichtig ist, nach Th. A. der Vorsatz zu beichten und genug zu thun mitgegeben ist, den Charakter des Verdienstlichen annimmt (actus meritorius). Ueberhaupt theilt Dante den allgemeinen Abfall der mittelalterlichen Theologen von der Augustinischen Anthropologie zum Semipelagianismus. Nach Th. A. geht der Mensch in die ewige Herrlichkeit durch sein Verdienst ein (gloriam quis consequitur ex merito). Dieses Verdienst ist zwar in Bezug auf die menschliche Thätigkeit der göttlichen Belohnung nicht vollkommen würdig (condignum), sondern steht zu ihr nur in einer gewissen Angemessenheit (congruitas); auch wäre es gar nicht vorhanden, wenn nicht erst die Gnade Gottes, die allein von dem gütigen Willen Gottes abhängt (ex bona voluntate dei), ein gewisses Maaß von Kraft zum Guten mitgetheilt hätte, damit der Mensch mit diesem Fond wuchern könnte; allein das Wort von der Rechtfertigung durch den Glauben allein ist auf diese Weise dennoch bei Seite geschoben worden, abgesehen davon, daß Th. A. schon in die Vorbereitung zur Erlangung jener kraftmittheilenden Gnade menschliches (S. LX) Verdienst mischt. Das letztere scheint auch Dante zu thun, indem er die Hoffnung auf die ewige Herrlichkeit ein Erzeugniß göttlicher Gnade und vorhergehenden Verdienstes (precedente merito) nennt (Parad. 25, 67-69). Die wenn auch fruchtlosen Anstrengungen Dante's, den glückseligen Hügel zu ersteigen (Hölle 1, 1-60), dürften vielleicht den ersten Anfang dieses vorhergehenden Verdienstes versinnbilden sollen. Wirklich ergreift ihn auch unmittelbar darauf die göttliche Gnade in dem gottgesandten Virgil (von V. 63 an), wie um seine verdienstlichen Bemühungen zu belohnen (Fegef. 16, 77). Wenn aber schon vor Erlangung der inwohnenden, ja sogar der vorbereitenden Gnade von menschlichem Verdienste in irgend welchem Sinne die Rede sein kann, um wie vielmehr nach Erlangung derselben (Parad. 3, 97). Darin liegt aber offenbar ein doppelter Fehler: erstens ist es ja nicht unsre alte natürliche Kraft, die mit der göttlichen Gnade zugleich arbeitet, sondern die mitgetheilte neue Kraft ("n o v a illa voluntas instrumentum est et organon dei"), und sodann zugegeben, es läge in dem Gebrauche dieser neuen Kraft wirklich etwas Verdienstliches, was zu behaupten in der That eben so unsinnig wäre, als wenn ich sagen wollte, der Bettler, der ein Capital, das er von einem reichen Manne geschenkt bekommt, nicht ganz müssig liegen läßt, thäte etwas Verdienstliches, weit über seine Pflicht Hinausgehendes; aber, wie gesagt, zugegeben, so ist ja auf der andern Seite nicht zu vergessen, wie erschrecklich leichtsinnig der Mensch mit der geschenkten Kraft umgeht, so daß er, statt Verdienst, nur immer neue Schuld häuft. Aber freilich nach Dante kann der Wiedergeborne das Gesetz Gottes vollkommen erfüllen (Parad. 3, 97), und das ist der stärkste Beweis, daß seine Anthropologie an Semipelagianismus mehr als anstreift. Formula Concordiae, de libero arbitrio, Negat III., IV., V., wo alle dergleichen semipelagianische Irrthümer abgewiesen werden). Dante ist also in seiner Wissenschaft wenigstens von Werkgerechtigkeit keineswegs frei geblieben, womit allerdings nicht geläugnet wird, daß er in seinem unmittelbaren (LXI) Glaubensleben wahrhaft protestantische Augenblicke gehabt haben kann.

     Das Endergebniß von dem Allen ist, daß Dante zwar sehr mit reformatorischen Ideen geschwängert ist, daß er aber gleichwohl noch ziemlich weit entfernt ist von der klaren Erkenntniß des Kerns und Sterns der Reformation, und daß zwar jene Pariser Lobredner des Dante als eines grundehrlichen Katholiken im Irrthum sind, daß aber andrerseits diejenigen seiner protestantischen Freunde von der Wahrheit sich noch weiter entfernen, die ihn zu einem der Ihrigen im vollen Sinne des Wortes machen möchten. So wollen wir uns denn seiner freuen, als eines der ersten jener theuern Zeugen der Wahrheit, die der Reihe nach gegen das römische Unwesen aufgestanden sind, und uns über den Gedanken, daß er noch nicht ganz auf unserm Grund und Boden steht, mit dem andern Gedanken trösten, daß er, wenn auch nur ahnend, nach Deutschland herüberblickt und er gewiß mit Freuden ganz auf unsere Seite würde getreten sein, wenn es ihm vergönnt gewesen wäre, sein prophetisches Wort von dem eifernden Windhund, der die Wölfin tödten sollte, sich noch in höher'm Sinne, als er zur Zeit verstehen konnte, verwirklichen zu sehen in unserm Luther, ohne den die göttliche Komödie ihrem besten Theile nach ein Räthsel ohne Lösung, eine Weissagung ohne Erfüllung, mit einem Worte, ein unvollendeter Dom, wie der zu Köln, geblieben wäre.

     (Ein Mehreres in der theologischen Abhandlung am Ende des ganzen Werkes.)

Erläuterungen:

01 In seinem Briefe an Can Grande della Scala, dem er das Paradies widmete, sagt Dante: "Wenn wir den Stoff ansehen, so ist er im Anfang schauerlich und garstig, weil Hölle, am Ende heilbringend und erfreulich, weil Paradies. Wenn wir aber die Redeweise ansehen, so ist sie gelassen und niedrig, weil gemeine Mundart, darin auch die Weiblein verkehren. Und so ist es klar, warum das gegenwärtige Werk Komödie genannt wird.

02 Dante bemerkt, daß alles Bedeutungsvolle im Leben seiner Beatrice im neunten Jahre, im neunten Monate, am neunten Tage, um die neunte Stunde geschehen sei. Um sich das zu erklären, sagt er unter anderm: "Die Drei ist die Wurzel der Neun, weil sie ohne eine andre Zahl, mit sich selbst multiplicirt, Neun giebt. Wenn also die Drei durch sich selbst die Neun schafft, und der Schöpfer der Wunder an sich selbst drei ist, d. i. Vater, Sohn und heiliger Geist, welche drei und eins sind, so war dieses Weib stets von der Neun begleitet, um zu verstehen zu geben, daß sie eine Neun war, d. i. ein Wunder, dessen Wurzel allein die wunderbare Dreieinigkeit ist."

03 Alles im Gedichte strebt denn auch auf die Dreieinigkeit hin, als auf das letzte Ziel (s. Dante's Brief an Can grande gegen das Ende); fängt doch das eigentliche Gedicht Hölle 3, 1-9, - denn der 2. Gesang leitet den ersten Theil, die Hölle, besonders ein (2, 7-9), - gleich mit einer Erinnerung an sie und schließt mit der Anschauung derselben von Angesicht zu Angesicht (Parad. 33). Das ganze Paradies hallt von dem Lob des Dreieinigen wider, was der Natur der Sache nach in der Hölle und im Fegefeuer, durch die Dante obenein vom heidnischen Virgil geführt wird, nicht geschehen kann.

04 Schon Daniello da Lucca nennt, indem er von den hundert Gesängen der göttlichen Komödie redet, die Zahl Hundert die "vollkommenste Zahl" (numero perfetissimo), und Dante selbst bezeichnet die Zehn als "die vollkommene Zahl" (numero perfetto) in der Vita nuova.

05 Thom. Aq. 1, 1, 10. So sagt auch Dante im Convito, tratt. II., Cap. 1.: "Bei der Aufzeigung dieses (des geistigen Sinnes) muß der buchstäbliche immer vorangehen."

06 Dante unterscheidet nach Vorgang von Th. A. und Andern den geistigen Sinn in einen dreifachen, einen allegorischen (im engern Sinne), einen moralischen und einen anagogischen. Als Beispiel gebraucht er Psalm. 114, 1-3, wo im allegorischen Sinne von unsrer Erlösung durch Christum, im moralischen von unsrer Bekehrung aus der Sünde zur Gnade, im anagogischen von dem Auszug der geheiligten Seele aus der Erdenknechtschaft zur Freiheit der ewigen Herrlichkeit die Rede sein soll (s. den Brief an Can grande). "Littera gesta refert, quid credas, allegoria; Moralis, quid agas, quid speres, anagogia." Der allegorische Sinn bezieht sich somit auf das Gebiet des Glaubens, der moralische des sittlichen Thuns, der anagogische der christlichen Hoffnung. So dürfte der glückselige Hügel im ersten Gesange dem allegorischen Sinne nach die christliche Kirche (im Gegensatze zum Heidenthum), dem moralischen Sinne nach die apostolisch zu reformirende Kirche (im Gegensatz zur verweltlichten römischen), dem anagogischen Sinne nach die triumphirende Kirche (im Gegensatz zur streitenden) versinnbilden (s. Inhalt zum 1. Ges. u. die 1. Anm. hinter dem 1. Ges.).

07 Sonderbar ist es mit anzusehen, wie Kopisch, der neueste Erklärer des Dante, sich abquält, zu beweisen, daß Dante den Sünder bloß vorbilde. Um des allgemeinen "homo" willen? Aber Dante ist ja auch ein Mensch und somit nicht nothwendiger Weise ausgeschlossen. Wie aber, wenn sich Dante ausdrücklich einschließt, indem er Beatrice sagen läßt: "So tief fiel er hinab, daß alle Lehren zu seinem Heile sich zu kurz erwiesen (Fegef. 30, 136)"; und er dann weinend bekennt: "Die gegenwärt'gen Dinge, Sie wandten mir mit falscher Lust die Schritte (Fegef. 31, 34, 35)?" Wie kann man doch solche und ähnliche Stellen, deren sich noch viele finden, übersehen? Doch wohl nicht ohne rationalistisches Vorurtheil.

08 Es liegt überhaupt in dem Wesen einer guten Allegorie, daß mehr paßt, als vom Erfinder bestimmt beabsichtigt ist.

09 Weisheit 17, 21 heißt es von der ägyptischen Finsterniß, welche die hellen Flammen der Sterne nicht lichten konnten (17, 5), daß sie ein Bild der Finsterniß war, die (in der Hölle) über sie kommen sollte.

10 Aehnlich Milton, Parad. lost 63-65: Kein Licht, vielmehr sichtbare Finsterniß diente bloß dazu, Bilder des Wehs, Orte der Qual, schmerzensvolle Schatten zu entdecken".

11 Th. A. behauptet übrigens, daß das Feuer ganz derselben Art sei, als das unsere, es ließe sich bloß nicht ausmachen, ob es als eigner Stoff (propria materia) existire oder in fremdem, und in welchem dann; es sei jedoch darin von dem unsern verschieden, daß es des Anblasens und Nährens mit Holz nicht bedürfe, indem der Hauch des Allmächtigen wie ein Schwefelstrom es entzünde (Jes. 30, 33).

12 Fegefeuer 28, 94 heißt es von Adam: "Durch seine Schuld in Weinen und in Jammer, Verkehrt' er süßes Spiel und harmlos Lachen."

13 Es kommt hierbei darauf an, ob man das "traurige Felsgestade" auf die ganze Hölle, oder nur auf den vierten Kreis bezieht.

14 Die Hölleninschrift, in deren Mitte eben die Dreieinigkeit als Urheberin der Hölle genannt wird, besteht deßhalb wohl nicht ohne tiefere Bedeutung aus drei Dreizeilern, ähnlich wie die den neun Himmelssphären entsprechenden Engelhierarchien aus drei dreitheiligen Ordnungen zusammengesetzt sind (Parad. 28, 94).

15 Dem zu widersprechen scheint zwar die von Philaletes aus dem 7. Cap. desselben Buches theilweise angezogne Stelle: "Weniger schlimm ist die Bestialität, als die Bosheit, ist aber schauderhafter, denn da wird nicht das Beste im Menschen (die Vernunft) verderbt, sondern sie hat es gar nicht"; aber sie scheint auch nur, denn erstens ist an dieser Stelle doch wohl nicht von der Bestialität des Menschen im Verhältniß zur Bosheit des Menschen, sondern von der Bestialität des Thieres im Verhältniß zur Bosheit des Menschen die Rede, besonders wenn man die Stelle weiter unten: "Ein böser Mensch thut tausendfach mehr Böses, als ein Thier" erwägt; zweitens wird, wenn die Bestialität des Menschen eingeschlossen sein sollte, was allerdings nicht unmöglich ist, immer nur eine geringere Schädlichkeit, nicht Schändlichkeit behauptet, was sich zur Genüge aus den Worten ergiebt: "Unschädlicher und weniger gefährlich ist immer die Schlechtigkeit dessen, der kein Prinzip hat: die Vernunft aber ist das Prinzip", verglichen mit dem obigen "weniger schlimm, aber schauderhafter". Darum erwähnt auch Dante in seiner Bezugnahme auf Aristoteles die Bestialität zuletzt (Hölle 11, 82-83), was einige Erklärer zu der Meinung veranlaßt hat, als wollte er sie auch in die letzte Höllenregion versetzt wissen: eine Meinung, die keiner Widerlegung bedarf.

16 Dem buchstäblichen Sinne zufolge ist darin allerdings nur von Florenz und seiner gestorbenen Geliebten die Rede; dem allegorischen Sinne nach scheint aber Rom und die göttliche Weisheit gemeint zu sein. Der Hauptbeweis scheint mir daran zu liegen, daß er sich auf die Worte des Jeremia: "Quomodo sedet sola civitas plena populo! Facta est quasi vidua domina gentium!" bezieht. Vergl. damit den Anfang seines Briefes an die Cardinäle.

17 Dante et la philosophie catholique au treizième siècle. Par. A. F. Ozanam. Paris 1839. - Le Paradis, l'Enfer, et le Purgatoire. Poèmes du Dante, traduits de l'Italien, suivis de notes explicatives, par Mr. le Chevalier Artaud, Paris 1811. 1812. 1813. - Histoire de Dante Alighieri par Mr. le Chevalier Artaud de Montor, ancien chargé d'affaires de France à Rome, à Florence et à Vienne. Paris 1841.

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