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F ü n f t e r   G e s a n g .
Die Wollüstigen.
Inhalt.
     Virgil steigt mit seinem Schützling aus der grünen Oase voll Licht und Ruhe in den licht- und ruheleeren zweiten Kreis hinab. Die göttliche Gerechtigkeit, welche die Lauen verschmäht, die ungetauften Kinder aber, die keine Thatsünde begangen haben, und die tugendhaften Heiden, die gegen kein positives Gesetz gesündigt haben, verschont, hat mit Recht am Eingange des zweiten Kreises, wo die Region der sogenannten Strafe der Empfindung (poena sensus), also der Strafe im eigentlichen Sinne beginnt, ihren Diener in dem Todtenrichter Minos hingestellt, dem fletschende Zähne und langer Schweif, - Sinnbilder vielleicht des nagenden und schlagenden Gewissens, an das ja die göttliche Strafgerechtigkeit anknüpft, - ein monströses Ansehn geben, wie denn auch die göttliche Gerechtigkeit dem verdammten Sünder natürlicherweise nicht als ein zürnender Engel des Lichts (F. 9, 79-84), sondern als ein dämonisches Ungeheuer erscheint. Minos sucht, seiner dämonischen Natur getreu, den Dante von seinem löblichen Unternehmen zurückzuschrecken; nur daß er ihm nicht, wie Charon, die Unmöglichkeit, sondern bloß die wachsende Schwierigkeit desselben vorhält, da die bisherige Erfahrung den Dante bereits von der Möglichkeit überzeugt haben mußte. Virgil beschwichtigt ihn, wie den Charon, mit dem allmächtigen Willen Gottes. Weiterschreitend vernimmt Dante schon das Weinen der vom rastlosen Sturme, - dem Sinnbilde der im Geiste fortwuchernden und aus Mangel der Körperlichkeit nie mehr zu befriedigenden Leidenschaft, - planlos umhergepeitschten Wollustsünder. Semiramis, die jedes Gelüst gesetzlich erlaubte, indem sie selbst mit einem Beispiele voranging, führt den Zug derselben an. Helena und Cleopatra folgen ihr zunächst im Range, um anzudeuten, daß sich das weibliche Geschlecht am meisten zur hier gezüchtigten Sünde hinneigt, vielleicht auch, weil Wollust das (58) einzige Laster ist, worin das weibliche Geschlecht trotz seiner untergeordneten Stellung es den Männern zuvorthun kann, wie denn auch in den andern Kreisen selten Frauen erwähnt werden. Dante verlangt mit zwei zusammenschwebenden Schatten, Francesca und Paolo, zu sprechen. Er beschwört sie auf Virgils Rath bei ihrer Liebe und auf dieses Zauberwort, das ihre ganze Lust und Pein befaßt, kommen sie heran. Francesca, die ihn für den Antheil an ihrer unglücklichen Liebe mit verliebter Geschwätzigkeit preist, nimmt als Weib das Wort und erzählt ihm, versunken in ihre Leidenschaft, unaufgefordert das traurige Ende derselben in drei Terzinen, wovon jede mit dem Worte Liebe anhebt, und worin sie nach Art unseres jungen Deutschlands ihr Verbrechen als eine That der schönen Natur darzustellen bemüht ist. Der Contrast zwischen dem süßen Sonst und dem bittern Jetzt macht den sich für Francesca persönlich interessirenden und der höllischen Scenen noch ungewohnten Dichter anfangs bestürzt. Darauf läßt er sich den von Francesca der bittern Rückerinnerung wegen verschwiegenen Anfang ihrer Liebe erzählen. Sehr charakteristisch schiebt sie die Schuld, die sie von sich und ihrem Geliebten abzuwälzen fortfährt, auf die gemeinschaftliche Lectüre eines der schlüpfrigsten Romane des Mittelalters und setzt die Erzählung bis zu dem Punkte fort, den sie als feingebildete Frau auch in der Hölle nicht zu berühren wagt, indem sie den Leser fast zweifelhaft läßt, ob die sündliche Lust zur sündlichen That geworden. Dante sinkt über den Schmerz der beiden zu ihrer Strafe an einander geketteten Liebenden in Ohnmacht.

F a d e n .
1.
  Der Höllenrichter.
25.
  Strafe der Wollüstigen.
52.
  Musterung.
73.
  Dante's theilnehmender Ruf.
82.
  Der gerührten Francesca Erzählung.
109.
  Des bekümmerten Dante Frage.
121.
  Der weinenden Francesca Antwort.
139.
  Ohnmacht des Dichters.

V.

1 So geht es aus dem ersten ohne Weilen
  Zum zweiten Kreis, der wen'ger Raum umschlinget,
  Bei größerm Schmerz, der so sticht, daß sie heulen.   01
4 Da steht zum Grausen Minos, fletscht und bringet  02
  Aus Licht die Schulden an des Zirkels Schwelle,
  Spricht Recht, schickt fort, so wie sein Schweif sich ringet.
7 Ich mein', es muß die mißgeborne Seele
  Sich ganz ausbeichten, läßt sie hier sich blicken;
  Und er, der Sünden Kenner, sucht die Stelle,
10 Die ihr gebührt und pflegt sie auszudrücken:
  Denn mit dem Schweif so oft den Leib umkreist er,
  So viele Grad er sie hinab will schicken.
13 Vor ihm steht stets ein großes Heer der Geister,
  Ein jeder kommt, wann's Zeit ist, zum Verhöre,
  Spricht, hört, und dann gepackt, zur Tiefe reist er.
16 "Der du zur Schmerzensherberg kommst," die Lehre
  Gab Minos mir, als er mich sah, und dachte
  Den Augenblick nicht an sein Amt, das schwere,  03
19 "Schau, wie du eintrittst, wer dich hieher brachte!
  Weit ist - das täuscht -! - der Eingang dieser Trümmer".  04
  Worauf mein Führer: "Warum schreist du?" sagte.
22 "Du hindre die verhängte Reise nimmer!"
  Wo man kann, was man will, wll man's so haben;
  Das laß gesagt dir sein einmal für immer!"
25 Nun schmeck' ich schon gleichsam die Erstlingsgaben
  Der Trauernoten; nun bin ich gekommen,
  Wo viele Seufzer mir das Ohr durchgraben.
28 Zum Ort kam ich, wo jedes Licht verglommen;
  Der gleich als wie das Meer brüllt, das die Winde,
  Die widrigen, zum Tummelplatz genommen.
31 Nie ruht der Sturm der höllischen Abgründe;
  In seine Wucht reißt er die Geisterheere,
  Wälzt, schüttelt sie, und zwar sehr ungelinde.
34 Wenn sie nun kommen an des Abgrunds Leere,
  Da kreischen, ächzen, jammern sie vernichtet;  05
  Da lästern sie dann des Allmächtgen Ehre.  06
37 In solcher Weise wurden hier gesichtet,
  So hört' ich, die dem Fleisch ergeben waren,
  Und die Vernunft zum Dienst der Lust verpflichtet.
40 Und wie der Flügel, wenn's kalt wird, die Staaren
  Vorüberträgt in vollen Zügen, breiten,
  So reißt der Sturmwind jene bösen Schaaren  07
43 Hinauf, hinab und so nach allen Seiten;
  Und wenn sie nur nicht auch die Hoffnung flöhe,
  Nicht ganz zu ruhn, nein, minder bloß zu leiden!  08
46 Den Kranichen vergleichbar, die ihr Wehe,
  Die Luf in langer Zeile furchend, singen,
  So, wom erwähnten Sturm getragen, sehe
49 Ich Schatten jammernd mir entgegen dringen.
  "Wer sind die Seelen," frug ich den Begleiter,
  "Die mit der Luft, der schwarzgefärbten, ringen?"
52 "Die erste derer," also sprach mein Deuter,
  "Davon du Kunde einzuziehn begehret,
  Aus vielen Zungen nahm sie ihre Streiter.
55 Sie hatte sich in Wolllust so verzehret,
  Daß sie die Lust frei gab, um zu vernichten
  Die Schmach, mit der sie selber sich entehret.
58 Semiramis ist's, die, wie sie berichten,  09
  Auf Ninus kam, der sich mit ihr beweibte,
  In jenen Ländern, die dem Sultan pflichten.
61 Die andr' ist die, die sich aus Lieb' entleibte,
  Die Treue brach der Asche von Sichäen,  10
  Kleopatra dann, die von Lust betäubte."
64 Helena, drob des Unheils viel geschehen;  11
  Der in den Kampf der Lieb' am Ende rannte,
  Achill, den großen, hab' ich auch gesehen;  12
67 Paris und Tristan; mehr als tausend nannte  13
  Er Schatten her, und mit den Fingern zeigt' er
  Die, welche Lieb' aus unserm Leben bannte.
70 Indeß mir so mein Lehrer, mein geneigter,
  Die alten Herrn und Fraun zu Sinne führte,
  Ward ich, fast zum Vergehen, stets erweichter.
73 Ich sprach: "O Dichter, gerne reden würde
  Ich mit den Zweien, die zusammengehen,  14
  Vom Wind getragen, eine leichte Bürde." -
76 "Die wirst du," sagt' er, "wann sie näher, sehen;
  Dann bei der Liebe, die sie umtreibt, bitte,
  So werden sie dir willig Rede stehen."
79 Die Stimm' erhob ich, als nun ihre Schritte
  Der Wind uns zubog: "Kommt, gequälte Schatten,
  Wenn ihr dürft, zum Gespräch in unsre Mitte."
82 Wie Tauben, die die Sehnsucht ruft zum Gatten,
  Getragen von der Lust, mit offnen Schwingen
  Zum süßen Nest enteilen ohn' Ermatten:
85 So auch der Schaar, wo Dido weilte, dringen
  Die Beiden durch die bösen Lüfte eilig,
  So mächtig war des Rufes zärtlich Klingen.
88 "O gütig Wesen, das an so abscheulich  15
  Umdiktem Ort und anthut solche Ehre,
  Die wir mit Blut die Erde färbten, freilich,
91 Wenn unser Freund der Herr des Weltalls wäre,  16
  Um deinen Frieden würd' er angegangen,  17
  Da dich gejammert unser Leid, das schwere.
94 Was hörst, was sprichst du gern? sag dein Verlangen!
  Wir reden gern und leihen gern die Ohren,
Indeß der Sturm schweigt, wie er angefangen.  18
97 Der flache Strich, den sich der Po erkohren,
  Um sich zur Ruh in's Meer hinabzulassen
  Mit den Begleitern, der hat mich geboren.
100 Die Liebe, die dem Edeln leicht zu fassen,
Zog diesen hier zum schönen Bau der Glieder,
Die ich verlor, - mich kränkt's noch, welcher Maßen! -   19
103 Die Liebe, die, wenn du geliebt wirst, wieder
  Zu lieben zwingt, ergriff mich und begleitet  20
Mich, wie du siehst, selbst in die Hölle nieder.
106 Die Liebe hat uns Einen Tod bereitet.
Wann wird der Mörder zur Caina kommen?" -   21
Das sind die Worte, die ich mich erbeutet.
109 Als die gekränkten Seelen ich vernommen,
Senkt' ich das Antlitz, bis mein Meister fragte:
"Was denkest du, was macht dich so beklommen?"
112 Worauf ich: "O wie unglückselig!" sagte:  22
"Manch' süßes Bild, ach welch sehnsüchtig Sinnen
Hat sie zum Pfad geführt, wo 's nimmer tagte!"
115 Drauf wandt ich mich zum andern Mal zu ihnen:
"Franciska, deine Qual rührt alle Saiten
Des Mitgefühls, daß schon die Thränen rinnen.
118 Doch in der süßen Seufzer ersten Zeiten,
Wodurch und wie, - wenn du mir das willst nennen, -
Ließ euch die Lieb' eur zweifles Sehnen deuten?"
121 "So kann", sprach sie, "ein andrer Schmerz nicht brennen.
Als schöner Zeit Erinnrung, wenn wir leiden,  23
Und das wird auch dein Meister dir bekennen.  24
124 Doch wenn du dich die Liebe von uns beiden
Im ersten Keim zu schauen sehnst so mächtig,
So red' ich, zwar mit Thränen, doch mit Freuden,
127 Ergötzens halber lasen wir einträchtig,
Wie Lancilot besiegt ward vom Verlangen,  25
Wir waren einsam und nichts schien verdächtig.
130 Das Buch verfärbte plötzlich unsre Wangen;
Die Augen macht' es hin und wieder rennen;
Doch nur ein Punkt nahm unser Herz gefangen.
133 Denn als wir lasen, wie nach langem Brennen
  Die Lippen sich vom Freunde küssen ließen,
  So küßte, der sich nie von mir wird trennen,
136 Die Wange mir mit zitterndem Genießen;
  Der Kuppler war das Buch und der's gedichtet.  26
  An jenem Tage mußten wir da schließen.
139 Indeß mich so der eine Geist berichtet,
  Zerfließt der andr' in Thränen; plötzlich wank' ich,
  Von Mitleid übermannt, als wir vernichtet.  27
142 Und wie ein Todter hinsinkt, also sank ich.

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Sechster Gesang

Erläuterungen:

 

01 Heulen statt der Seufzer im vorigen Gesange.

02 Wir können Minos nicht für eine bloße Verkörperung des erwachenden Schuldbewußtseins halten, wie Kopisch thut, schon darum nicht, weil es ein psychologische Thatsache ist, daß das in Sünden verhärtete Gewissen der eigenliebigen Creatur in eigener Sache nicht Richter sein kann, Dante aber, der feine Psycholog, schon in Bezug auf das schreckliche "Warten des Gerichts", das in dem der Hölle entgegengehenden Sünder ist (H. 3, 125-126), einen objectiven Factor, die göttliche Gerechtigkeit, neben dem subjectiven, dem Gewissen, kennt.

03 Kopisch bemerkt, "Minos läßt sein Amt; ein Beweis, das Dante keine solche Sünden (was für welche?) zu bekennen hat. Im ersten Gesange der Hölle hat er den Sünder bloß vorgebildet." Das ist einer von denjenigen Beweisen, die zu viel und deshalb gar nichts beweisen. Denn wenn man aus der Thatsache, daß Dante dem Minos nicht beichtet, schließen müßte, daß Dante kein wirklicher Sünder sein will, so müßte man auch das daraus schließen, daß er den Sünder nicht einmal vorbilden will, oder man müßte annehmen, der Vorbildner sei hier aus der Rolle gefallen. Die Sache verhält sich vielmehr so. Der Gang Dante's durch die Hölle versinnbildet die stufenweise, von einem heilsamen Schrecken (atiritio) begleitete Erkenntniß der Sünde in ihrer Stafwürdigkeit. Die auf der wahren Reue ruhende Beichte gehört mithin erst auf den Fegefeuerberg, wo sich auch in symbolischer Weise abgelegt wird (F. 9, 111). Dante, der sich durch die Gnade Gottes zur Buße leiten läßt, hat wohl mit dem zürnenden Engel im Fegefeuer, der die bußfertigen Sünder annimmt, aber nicht mit dem dämonischen Höllenrichter zu thun, der die bis ans Ende unbußfertigen Sünder (H. 3, 122) der ewigen Verdammniß überantwortet.

04 Diese Worte können schwerlich, wie Kopisch meint, als eine allgemeine Warnung an alle Lebenden betrachtet werden, weil der Gang Dante's durch die Hölle nicht des Lasters Bahn, die anfangs ein breiter Weg ist, versinnbildet, sondern müssen wohl, dem Charakter der höllischen Beamten gemäß, die keine Moralprediger sind, eher als ein Versuch angesehen werden, den Dante von seinem heilsamen Wege (H. 12, 87) zurückzuschrecken (H. 3, 88-96 und Inhalt.)

05 Weil sie hinabzustürzen fürchten.

06  Die Wollustsünder, vom Sturme der Leidenschaft an den Abgrund des Sündenelends getrieben, lästern oft genug des Allmächtigen Ehre, der sie so schwach geschaffen und der Leidenschaft in ihnen keine kräftigen Damm entgegengesetzt habe.

07 Jud. 12: "Sie sind Wolken ohne Wasser, von dem Winde umgetrieben."

08 Es ist gegen alle psychologische Analogie, daß die fleischliche Lust, die durch den Sturm versinnbildet wird, mit dem Leibe vergeht, wie Kopisch anzunehmen scheint. Die Seele kann sich eben so wohl verfleischlichen, (was die Phantasien alter Sünder, denen der Leib so gut wie erstorben ist, zur Genüge beweisen), als sich der Leib vergeistigen kann. Siehe Stillings Scenen aus dem Geisterreische.

09 Semiramis, Königin von Babylon, erlaubte, so berichtet Biagioli, die Heirath zwischen Sohn und Mutter gesetzlich, weil sie selbst ihren Sohn Ninus zum Gemahl genommen, wie Justin erzählt. Dante wählte sie als die älteste geschichtlich hervorstechende Sünderin dieser Art als Anführerin des Hauptschwarms, der aus lauter solchen Personen besteht, die in Folge unerlaubter Liebe das Leben verloren haben. Im Mittelalter, bringt Kopisch bei, dachte sich das Volk einen ähnlichen Zug von Seelen, vom Sturm allnächtlich umhergejagt und angeführt von Pharaildis, Tochter des Herodes, die zu dem abgehauenen Haupte Johannis des Täufers sündhafte Liebe gefaßt.

10 Dido von Carthago, die nach dem Tode des Sichäus sich nicht wieder zu vermählen geschworen hatte, sich aber an Aeneas hingab, und als er sie verließ, sich tödtete (Aeneis 6, 450).

11 Helena, die vom trojanischen Prinzen Paris geraubt wurde, wird hier als Ehebrecherin behandelt, weil die Entführung nicht wohl ohne ihren Willen geschehen konnte.

12 Auf die vier Schönen, die noch in der Hölle den Vortritt haben, folgen drei galante Herrn, wovon der eine, Achilles, sein Lebtage ein tapfrer Soldat gewesen, zuletzt aber, durch Polyxena's Reize besiegt, sein Leben verlor.

13 Tristan, der nach Gottfrieds von Straßburg Fortsetzern mit Isolde, Gemahlin des Königs Mark von Cornwallis, Ehebruch trieb, was ihm zuletzt den Tod zuzog.

14 Francesca, Tochter von Guido Polenta, (Herrn von Ravenna), und Gattin von Gianciotto Malatesta, (Herrn von Rimini), hatte sich mit ihrem schönern Schwager Paolo Malatesta, zu dem sie schon vor ihrer Verheiratung Neigung gefaßt hatte, vergangen und war nebst ihm von ihrem Gemahle getödtet worden. Dante endigte im Hause eines Neffen der Francesca, der ihm fortwährend viel Liebes erwies, sein Leben. Welch eine unbestecliche Gerechtigkeit trotz dem natürlichen Gefühlt der Dankbarkeit von Seiten Dante's und welch eine christlich heroische Selbstverläugnung trotz dem bloßgestellten Familienrufe von Seiten Guido's. Das macht, weil man Energie des Glaubens damals noch nicht mit Verdammungssucht verwechselte.

15 Sünder von der Art sind für Rührungen aller Art sehr empfänglich, auch für die Rührung der Dankbarkeit. So natürlich liebenswürdig wird und keine andere verdammte Seele weiter geschildertwerden.

16 Sie bezeichnet Gott als den Machthaber, zu dessen Günstlingen zu gehören sie nicht das Glück habe.

17 Das Bild des Friedens scheint der Friedeleeren immer vor der Seele zu schweben. B. 99, wo sie ihres Jugendlandes gedenkt, um das auch Bilder des Friedens ziehen mögen, bezeichnet sie daher den Einfluß des Po und seiner Begleiter in das Adriatische Meer auch als ein Sichzufriedengeben.

18 Ausnahmsweise um Dante's willen. Daher kein Widerspruch mit 31, 44-45.

19 Das erinnert an das Heine'sche:

Den Leib möcht' ich noch haben,
Den Leib so frisch und jung;
Die Seele könnt ihr begraben,
Hab' selber Seele genung.

20 Sein edles Herz (100) trug also, ihrer Darstellung nach, die erste Schuld, ihr schwaches Herz die zweite, und so bildet sie sich am Ende noch ein, den Märtyrertod mit ihrem Buhlen gestorben zu sein.

21 Caina heißt der Ort, wohin die Verwandtenmörder kommen.

22 Kopisch übersetzt "lasso" ich Schwacher! und versteht moralische Schwäche darunter, während er sonst nur seelische oder körperliche Schwäche in Folge von Affect oder Beschwerde bezeichnet. Hier macht nun Kopisch den Dante auf einmal zum Sünder (Lust oder That?). Es kann sein, daß er über die böse Wurzel in sich, aus der die böse That hervorschießt, miterschrickt. Aber in dem lasso können wir weiter nichts, als einen allgemeinen Weheruf sehen.

23 Die Erinnerung ist zwar bitter, aber das Sprechen davon ist doch süß.

24 Boethius wußte das theoretisch und praktisch, theoretisch, denn in seinem Buche über den Trost sagt er: "In jeder Widrigkeit des Schicksals ist es die unglückseligste Art des Mißgeschicks, glücklich gewesen zu sein," praktisch, denn er empfand das Gewicht dieser Wahrheit im Gefängnisse. Dante's Lehrer wird er genannt, weil Dante, wie im Convito gesagt wird, nach Beatrices Tode Trost in seinem Buche suchte. Hiebei erinnert sich der verbannte Dichter gewiß auch seiner glücklichen Zeit in Florenz.

25 Lancilot, Liebhaber der Königin Ginevra.

26 Galeotto heißt es im Texte. Das ist nämlich der Name des Kupplers in dem Roman, wonach man denn jeden Kuppler Galeotto nannte.

27 Drei Ursachen etwa sind es, warum das Mitleiden des Dichters hier so stark hervortritt. Die erste, weil es sich hier um eine Sünderin handelt, ab deren Person Dante um ihrer Familie willen innigen Antheil nahm; die zweite, weil die hier bestrafte Leidenschaft von allen die mächtigste und deshalb am mildesten zu beurtheilende ist; die dritte, weil sein Abscheu vor der Sünde dem Mitleiden mit dem Sünder hier am Eingange der Hölle noch nicht das Gleichgewicht hält.