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Z e h n t e r   G e s a n g.
Die Ketzer.
Inhalt.
          Die Dichter wandeln zwischen den Mauern und Gräbern, deren Deckel bis zum Weltgericht offen bleiben, vielleicht weil die bis dahin in der Kirche fortwuchernden Ketzereien den Ketzerfürsten neue Opfer nachliefern, und wo wohl deshalb keine Wache aufgestellt ist, damit diese Untergräber der öffentlichen Sitte der öffentlichen Kenntnißnahme anheimfallen. Da liegen nun zuerst die Epikuräer, welche die Immaterialität der Seele leugneten. Als Virgil dem Dante unter anderem die Erfüllung seines verschwiegenen Wunsches, den Farinata zu sehen (H. 6, 79-84), verheißt, und Dante noch mit der ihm anempfohlnen Schweigsamkeit (H. 3. 76-79) auf artige Weise den Vorwurf der Verstecktheit ablehnt, wird der letztere schon von dem sich mit halbem Leibe stolz in die Höhe richtenden Farinata, der wohl an der feinen Erwiedrung des Dante einen Edelmann von seinem Stande zu erkennen meint, als Landsmann angerufen. Virgil drängt den Dante, der sich vor dem stolzen Ghibellinischen Ketzer scheuet, zu dem Farinata hin, der, nachdem er sich den unscheinbaren Dichter ein wenig angesehen, fast verächtlich nach seinem Stammbaum und somit nach seinem politischen Glaubensbekenntniß frägt, das ihm von jeher mehr, als das kirchliche, am Herzen gelegen. Dante, dessen Vorfahren Guelfen waren, hat, wie ihm Virgil geboten, deß keinen Hehl, und der stolze Ghibelline, den es ein wenig verdrießt, vergißt nicht, zu erwähnen, daß er sie zweimal vertrieben hat. Dante, der Rolle des Guelfen getreu, was er um 1300, wohin er die Vision zurück verlegt, noch war, entgegnet, daß dieselben auch zweimal wiedergekehrt seien, und setzt aus eigener bittrer Erfahrung hinzu, daß die Parteigänger Farinata's, zu denen der verbannte Dante in Wirklichkeit gehörte, diese Kunst nicht gelernt hätten. Unterdessen erhebt sich, neben Farinata, bis an's Kinn Cavalcante Cavalcanti, Vater seines Jugendfreundes (105) Guido, und späht sehnsüchtig, wiewohl umsonst, nach seinem Sohne, dessen Mitkommen er wohl deßhalb gern gesehen hätte, damit derselbe von der Wirklichkeit des Jenseits, an das er, der Vater, nicht geglauby hatte, überzeugt, nicht auch an diesen Ort der Qual käme. Virgil benimmt dem in die natürlichen Geistesgaben seines Sohnes verliebten Vater den Irrthum, als ob die Ergreifung des Heils an unserm eignen Laufen und Rennen läge, indem er auf den gottgesendeten Führer hinweist, dessen sittlich ernstes Dichterqwerk Guido, der Philosoph, der sich an der leichtfertigen provencalischen Dichtungsart erfreuete, verachtet hätte. Cavalcante glaubt, weil Dante in der vergangenen Zeit von Guido spricht, schließen zu müssen, sein Sohn gehöre nicht mehr der süßen Welt an, die dem Läugner des Jenseits alles ist. Der noch in der Hölle, wenn auch nur nach Art der Zöllner und Sünder (Math. 5. 46-47), zärtliche Vater frägt hastig nach dem Thatbestand; und da Dante, in Voraussetzung, die Todten wüßten ebenso wohl die irdische Gegenwart, als sie die Zukunft wissen, mit der Antwort zögert, so glaubt der geängstigte Vater, Dante wollte nur nicht mit der Schreckensnachricht heraus, und fällt, von Schmerz überwältigt, zurück. Aber der hochherzige Farinata, der, wie is so geht, um fremden Schmerzes willen keine Miene verzieht, vertieft in die rein irdischen Interessen seiner eignen Familie, deren Schmach er, - der auf seinen Stammbaum stolze Ghibelline, - egoistisch mitfühlt, nimmt den Faden des Gespräch's wieder auf, wo er ihn liegen ließ, weissagt dem Dante, damit er sich ja nicht über seine Familie erhebe, ein gleiches Geschick der Verbannung und frägt zuletzt, warum sich die Florentiner so schändlich gegen die schuldlosen Seinen betrügen. Dante verweist ihn auf seine, des Ahnherrn, Schuld, indem er ihn an die verrätherische Schlacht an der Arbia erinnert. Farinata, der um seinen Landsmann an sich heranzuziehen, wenn auch in etwas auf Schrauben gestellten Worten, dem Dante unaufgefordert (27) sich einigermaßen schuldig bekannt hatte, will nun, da ihm Dante seine Schuld vorrückt nichts davon wissen; er beschönigt seinen Verrath in selbsgerechter Verblendung durch die unhaltbarsten Gründe, deren Nichtigkeit er selbst zu fühlen scheint, indem er schnell von der Schuld ab auf sein vermeintlich weit überwiegendes Verdienst überspringt, das am Ende in weiter nichts besteht, als in der Verhütung einer ungeheuren Schandthat.

      Nachdem nun Farinata dem Dante auf dessen Befragen aus einander gesetzt, daß die Verdammten, den Fernsichtigen ähnlich, wohl die irdische Zukunft, aber nicht die irdische Gegenwart sehen, so bittet ihn der mitleidige, nun aus seinem Irrthum gerissene Dichter, dem Cavalcante zu sagen, daß sein Sohn noch lebe. Zuletzt erfährt Dante noch, daß ein Kaiser und ein Kardinal mit unter den Ketzern liegen, wie denn die Freigeisterei unter den hochgestellten Staats- und Kirchenbeamten damals am meisten verbreitet (106) war. Dante, schon vorher zur Eile ermahnt, kehrt seiner geweissagten Verbannung wegen gedankenvoll zu Virgil zurück, der ihn in Bezug auf eine nähere Erklärung derselben auf Beatrice verweist, die in Gott, wie in einem Spiegel, Vergangenheit, Gegenwart, und Zukunft schaut.


F a d e n.
1.
  Unterredung über die Ketzer.
22.
  Farinata's Anruf.
28.
  Dante's Schreck.
31.
  Virgil's Treiben zu Farinata hin.
40.
  Unterredung mit Farinata.
52.
  Unterbrechung durch Cavalcante
73.
  Fortsetzung des Gespräch mit Farinata.
121.
  Rückkehr zu Virgil.

X.

1 Nun geht es auf geheimen Pfade weiter
  Zwischen den Martern und des Landes Mauern;
  Ich aber folge hinter dem Begleiter.
4 "O höchste Tugend, die mich durch die sauern
  Gehege führt der Bösen nach Belieben,
  Sag' an und laß den Wunsch umsonst nicht lauern!
7 Kann man das Volk dort in den Särgen drüben
  Vielleicht besehn? Die Deckel sind gehoben,
  Und ohne Wächter sind sie auch geblieben." -
10 "Die werden fest in ihren Sarg geschoben",
  So sprach er, "wenn sie Josaphat verlassen,   01
  Und ihren Leib sich abgeholt von droben.
13 Hier ist der Friedhof aller jener Massen 02
  Die, mit dem Meister Epicur geschaaret,
  Die Seel' als mit dem Leib absterbend fassen.
16 Was du als dein Verlangen offenbaret  03
  Wirst du dadrinnen bald nach Lust genießen;
  Auch der verschwiegne Wunsch wird dir willfahret."  04
19 "Mein guter Führer", sprach ich, "zu verschließen
  Sucht' ich mein Herz nur, um es kurz zu sagen;
  Denn dazu hast du mich schon längst gewiesen." -
22 "Toscaner, der du lebend durch die Plagen
  Der Feuerstadt ziehst, mit dem Wort dich ehrend,
  Möcht' es dir, hier zu rasten, doch behagen!
25 Die Sprache schon verräth dich, als gehörend
  Zu jenes edlen Vaterlandes Kindern,
  Für das ich einst vielleicht zu ruhestörend." -
28 Den Ton ließ plötzlich einer von den Sündern
  Aus seinem Sarg' erschallen; enger streckt' ich
  Mich an den Führer, um die Angst zu mindern.
31 "Dreh dich herum", so sprach er, "was erschreckt dich?
  Vom Gürtel bis zum Haupt wirst du ihn schauen,
  Den Farinata nämlich, denn der reckt sich." -
34 Schon saß mein Aug' fest unter seinen Brauen;
  Mit Brust und Stirn warf er sich in die Höhe,
  Als achtet' er für nichts der Hölle Grauen.
37 Und von des Führers starken Armen sehe
  Ich in die Gräberreihen mich gestoßen
  Und hör' ihn sagen: "Sprich, daß er's verstehe!"
40 Nun stand ich kaum an seinem Sarg, dem bloßen,
  So sah er mich ein wenig an und fragte:
  "Wer waren deine Ahnen?" mir Erboßen.
43 Ich aber, recht mit Lust gehorchend, sagte
  Es rund heraus und barg auch keine Seite;
  Was ihm die Brauen in die Höhe jagte.
46 "So heftig," sprach er, "waren deine Leute
  Mir, meinem Stamm, und Anhange zuwider,
  Daß ich zu zweien Malen sie zerstreute." -
49 "Vertriebst du sie, doch fanden sich die Glieder
  Zweimal", versetzt' ich, "heim aus jeder Ecke;
  Die Kunst verstehet keiner deiner Brüder."
52 Da hebt sich an die Oeffnung ohne Decke
  Dicht neben ihm ein Schatten bis zum Kinne;
  Mir scheint es, daß er hingekniet sich strecke.
55 Rings um mich schaut' er, als würd' er gern inne,
  Ob Jemand bei mir wär', und als verglommen
  Jedweder Zweifel war in seinem Sinne,
58 So sagt' er weinend: "Hat dich angenommen
  Der blinde Kerker hohen Sinnes wegen:
  Wo ist mein Sohn, daß er nicht mitgekommen? -"   05
61 "Ich komme nicht von selbst", sprach ich entgegen;
  "Der Harrende dort hat mich führen wollen;
  An dem schien eurem Guido nichts gelegen." -
64 Sein Name hatte mich wie angeschollen
  Aus seiner Red' und aus der Art der Plage;
  Drum gab ich ihm die Antwort aus dem Vollen.
67 Aufspringend schrie er: "Wie war deine Sage?
  Es schien? So ist im Todtenreich sein hausen?
  Sein Aug' wird nicht berührt vom süßen Tage?"
70 Als er nun merkt', ich machte ein'ge Pausen
  Vor meiner Antwort, stürzt er überrücke,
  Und so nun sah ich ihn nicht länger außen.
73 Doch jener Andre mit dem hohen Blicke,   06
  Um den ich stehn blieb, läßt sich das nicht stören, 07
  Biegt nicht die Seite, regt nicht das Genicke.
76 "Daß sie sich diese Kunst nicht lassen lehren," -
  So ward der Faden von ihm fortgeführet, -
  "Das kann mich mehr, als dieses Bett verzehren.
79 Das Angesicht der Frau, die hier regieret,  08
  Nicht funfzig Mal mehr wird es feurig werden,
  So hast du selbst die Last der Kunst gespüret.
82 Doch bei der Rückkehr zu der süßen Erden!
  Sag' mir, woher des Volks gottloses Schalten
  In jedem Rath, mit meinem Haus, dem werthen?"
85 "Das Schlachten", sprach ich, "und das viele Spalten,
  Davon die Arbia roth ward, hat's vermittelt,  09 
  Daß sie derlei Ansprach' im Tempel halten." 10
88 Drauf er, der seufzend mit dem Kopf geschüttelt:
  "Ich war allein nicht, hätt' auch mit den Freunden
  Nicht grundlos mich aus meiner Ruh gerüttelt.
91 Doch war ich dort, wo sie einstimmig meinten:
  Weg mit Florenz! der Mann, der frei umblickte
  Und es allein vertrat vor den Vereinten." -   11
94 "So mag eu'r Saame ruhen, der gedrückte,
  Wie ihr die Frage löst", sprach ich mit Flehen,
"Der meinen Geist an diesem Punkt umstrickte.
97 Versteh' ich recht, so scheint ihr das zu sehen,
  Was im Gefolg der Zeiten kommt; doch schlimmer
  Scheint es mir um die Gegenwart zu stehen". -  12
100 "Wir sehn, wie der, deß Aug' in matten Schimmer
Gehüllt ist", sagt' er, "ferne Gegenstände;
So viel Licht gönnt uns noch der Allbestimmer.
103 Nahn oder sind sie, ist der Witz am Ende;
  Nichts wüßten wir von allen euren Lagen,
Wenn sich nicht ein Berichterstatter fände.
106 So wird uns denn, das kannst du selbst dir sagen,
Der Geist von jeder Wissensspur gereinigt,
Sobald die Thür der Zukunft zugeschlagen." -
109 Drauf ich, als wir von Schuldgefühl gepeinigt:
"Sag' dem Gestürzten, daß mit den Lebend'gen
Sein Sohn bis diese Stunde noch vereinigt.
112 Und war ich träg, die Antwort einzuhänd'gen,
So sag', daß ich in jenem Irrthum dachte,
Den du erst jetzt so gütig warst zu end'gen." -
115 Da rief mein Herr, daß ich mich fertig machte;
Ich that der Fragen nun geschwind noch eine,
Daß er ganz kurz, wer bei ihm wär, mir sagte.
118 "Mit mehr als tausend lieg' ich im Vereine;
Beim zweiten Friedrich ruhet hier", so spricht er,   13
"Der Cardinal; nun nenn' ich weiter keine." -
121 Drauf barg er sich, und ich, zum alten Dichter
Die Schritte kehrend, dacht' an die Erklärung,
Die feindlich schien, indeß ich ging. So bricht er
124 Nun mit mir auf. "Was bist du so in Gährung?"
Wandt' er sich zu mir, immer weiter schweifend.
Ich aber lieh dem Bittenden Gewährung.
127 "Was gegen dich dir kund ward, das ergreifend,
Behalt' im Sinn!" war jenes Weisen Mahnen,
Der: "Stehe still!" sprach, seinen Finger steifend.
130 "Die mit dem Aug', dem Liebreiz angethanen,
Das All durchschaut, zeigt, wenn du ihrem Feuer,
Dem süßen, nahst, dir deine Schicksalsbahnen."
133 Drauf links sich wendend, ließ er das Gemäuer;
  So kamen wir zur Mitt' auf einem Pfade,
  Der an ein Thal stößt, von woher stets neuer
136 Gestank emporqualmt, bis auf das Gestade.

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Elfter Gesang

Erläuterungen:

01 Nach der Wiederbekleidung mit den Leibern versammeln sich alle Seelen im Thale Josaphat zum Weltgerichte. Th. A. beruft sich außer auf Joel 3, 7 auf Apostelg. 1, 11 und nimmt an, daß der Herr von dem Oelberge her, der über das Thal Josaphat hervorragt, richten werde (3, 88, 4).

02 Daß die Grabstätte der Leugner des ewigen Lebens "Friedhof", der Sarg hinwiederum "Bett" genannt wird (78), geschieht vielleicht nicht ohne eine gewisse Ironie. Diese, die ganze Welt zu einem großen Kirchhof machenden Leute wähnten, sie würden dereinst friedlich in ihren Gräbern schlummern.

03 Das Verlangen steht 7-8.

04 Farinata's Ketzerei war offenkundig, darum vermuthete ihn Dante hier. Bei Ciacco, dem Leugner des ewigen Lebens in der Praxis, hatte er ihn, den Leugner des ewigen Lebens auch in der Theorie zwar vermuthet, aber nicht gefunden. Farinata war noch einen Schritt weiter gegangen und hatte das Jenseits, das ihn in seinem Wohlleben störte, geläugnet. Der Unglaube des Herzens führt sehr oft zum Unglauben des Verstandes; seltener umgekehrt.

05 Der reiche Mann im Evangelium wünscht, daß ein Todter zu seinen Brüdern gehen möchte; hier Cavalcante wünscht, daß sein Sohn zu den Todten mitgekommen sein möchte. Beiderlei Wunsch hat den gleichen Sinn. Th. Aq., dem gemäß die Verdamten trotz der Vermehrung der eigenen Pein durch die Menge lieber mehr mit Vielen, als allein minder gequält sein wollen, sagt Spp. 98, 4: "Den Verwandten jedoch mißgönnen sie (die Seligkeit nämlich) minder, und ihre Pein würde großer sein, wenn alle die Ihren verdammt und Fremde beseligt, als wenn Einige von ihren Verwandten beseligt würden. Daher wollte der reiche Mann, daß seine Brüder nicht der Verdammniß anheim fielen, denn er wußte, daß Etliche beseligt würden; er hätte aber lieber gewollt, daß mit seinen Brüdern zugleich alle Uebrigen verdammt würden."

06 Dem Farinata wird hier die Hochherzigkeit, der Inbegriff aller heidnischen Tugend, beigelegt. Dazu paßt seine Schicksalsverachtung (35-36), sein stolzes Benehmen gegen Dante (41, 42) sein fleischlich selbstisches Wesen (74-75), sowie seine offene Art (93) sehr wohl. Vergl. Arist. Eth. 4, 8, wo der Hochherzige ähnlich geschildert wird.

07 In Farinata und Cavalcante stellt der Dichter zwei Beispiele natürlicher Liebe auf, die im Geliebten nur das eigene Ich sucht und für Alles, was über den eigenen engen Kreis hinausliegt, kein Herz hat.

08 Die Frau, die die Hölle regiert, ist Hecate, die am Himmel als Mondgöttin (Luna) verehrt wurde. Nach dieser Stelle sollen also nicht funfzig Monate vergehen, bis er aus eigener Erfahrung weiß, wie schwer es hält, aus der Verbannung zurückzukehren. Diese Erfahrung machte er 1304 Anfangs Juni (s. d. gesch. Abh.).

09 Der vertriebene Farinata hatte von Siena aus die Guelfischen Florentiner an die Arbia gelockt (s. d. gesch. Abh.).

10 Der den Parteigängern Farinata's feindselige Senatsbeschluß wird hier nicht ohne bittere Ironie orazione genannt, welches Wort ebensowohl eine politische Rede, als ein Gebet bezeichnet. Damit übereinstimmend, scheint das Rathhaus selbst, vielleicht mit Anspielung auf die altrömische Sitte, die Senatsversammlungen in den Göttertempeln zu halten, Tempel genannt zu werden, wenn nicht vielleicht auf die frühere Sitte der Florentiner, sich über öffentliche Angelegenheiten in der Kirche zu berathen, Rücksicht genommen wird. Ist das letztere der Fall, so soll die Bezeichnung der Kirche durch das heidnische "Tempel" vielleicht die Entweihung des heiligen Ortes durch solche unchristliche Beschlüsse andeuten, die eben nicht wie christliche Gebete für das Wohl des Feindes aussehen.

11 Die übermüthigen Sieger an der Arbia wollten das guelfische Florenz von Grund aus zerstören; Farinata allein widersetzte sich mit aller Enstschiedenheit.

12 Ueber die Dante'sche Annahme, daß die Verdammten bloß die Zukunft, die Seligen aber Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft schauen, mit zuhülfnahme von Th. Aq, Folgendes: - Es giebt zwei Arten der Erkenntniß, eine sinnliche und eine intellectuelle. Die letztere Art der Erkenntniß ist, an und für sich betrachtet, die höhere. Warum ist nun der Mensch nicht ohne Leib, also zu rein intellectueller Erkenntniß geschaffen worden? Antwort: Alle intellectuelle Kraft steht unter den Einflusse des göttlichen Lichtes; je weiter sich nun die intellectuellen Wesen von diesem Urquell entfernen, desto mehr theilt sich dieses Licht, desto trüber wird es. So würde denn der Menschengeist, der am äußersten Anfang der intellectuellen Wesen steht, eine sehr unvollkommene Erkenntniß von den Dingen erlangen. Darum hat ihn Gott durch Beifügung des Sinnenleibes zugleich an die sinnliche Erkenntniß gewiesen. Diese hört mit dem Tode auf, und die entleibte Seele erkennt nicht mehr durch mittelbare Abstraction von den Sinnendingen, sondern durch den unmittelbaren Einfluß des göttlichen Lichts. Dieses göttliche Licht verhält sich zum Nahen und Fernen (Th. Aq. 89, 8), eben so zum Vergangenen, Gegenwärtigen und Zukünftigen auf gleiche Weise. Wie sollte also der selige Geist, der den sieht, der Alles sieht, nicht Alles sehen? (131; Th. Aq. 89, 8).

      Aber wie steht es nun mit dem unseligen Geiste, der nicht zur Anschauung Gottes gelangt? Dieser würde gar keine Kenntniß von der irdischen Gegenwart haben, wenn ihm nicht zu weilen von Andern Nachricht gebracht würde (105; Th. A. 1, 89. 8). Woher sollte er auch! Auf intellectuelle Weise kann er die irdische Gegenwart nicht schauen, da er von Gott, dem Urquell des Lichts, losgerissen ist; auf sinnliche Weise auch nicht, da ihm die Sinneswerkzeuge fehlen, und wenn er sie hätte, doch die örtliche Entfernung hindern würde (Th. A. 1, 98, 7.). Wie ist es nun aber möglich, daß er die Zukunft weiß? Th. A. spricht von einer Erkenntniß der Zukunft in sich und ihren Ursachen (Th. A. 1, 87,4). Die erstere, intuitiver Art, kommt nur Gotte und den mit Gott verbundenen Geistern durch den Einfluß des göttlichen Lichtes zu. Die zweite, discursiver Art, dem Menschengeiste schon hier auf Erden. Es kann kaum einem Zweifel unterliegen, daß Dante den unseligen Geistern nur eine discursive Erkenntniß der Zukunft, auf Grund der mitgebrachten Kenntniß der Gegenwart, zuschreibt, zumal wenn man erwägt, daß er vielleicht der intellectuellen Kraft des Geistes nach Abstreifung des Körpers eine größere Schärfe zutraut (Th. A. 1, 89, 2, ad 1) und daß die Erkenntnuß der Zukunft von Seiten der Verdammten sich auf das ihnen selber Naheliegende zu beschränken scheint. Das "noch" paßt sehr wohl zu dieser Auffassung, denn das deutet mehr auf ein natürliches Ueberbleibsel, als auf eine übernatürliche Zugabe. So müssen nun die Bewohner des blinden Kerkers (59) sich am wesenlosen Schattenspiel der an und für sich schon wesenlosen Zeitlichkeit genügen lassen, müssen ihre Sünde von Geschlecht zu Geschlecht fortwuchern sehen und von dem Elend, das ihr auf dem Fuße folgt, sich mit erbitternd und mit ängstigend, ihr Theil hinnehmen, bis es am Ende keine Zeit mehr giebt und das langweilige Einerlei der Ewigkeit hinfort auch nicht einmal von einem Scheine des lebens unterbrochen wird.

13 Ueber Friedrich II. vergleiche Anm. 1 zu Ges. 8. Er stand im Verdachte, das Buch von den drei Betrügern (Moses, Christus, Muhamed) verfaßt zu haben. Der erwähnte Kardinal ist Octaviano Ubaldini, der gesagt haben soll, daß, wenn es eine Seele gäbe, er sie an die Ghibellinen verloren habe.