Zurueck

Der zwey und dreyßigste Gesang.

  Wär es in meiner Macht, so hart und rauh
  zu singen, als der tiefste Sitz des Leids,
  worauf die ganze Höll sich stützt, es heischt:
  so würd' ich mein Gefühl lebhaftiger
  ausdrücken; weil mir aber dieses nicht
  verliehen ist, so geh' ich furchtsam an
  das Werk. Denn wahrlich ists kein Scherz, noch Spiel
  der Kinder, einen Mittelpunkt, der sich
  zum Weltgebäude schickt, zu schilderen.
  Darum steht mir, o Musen, bey, die ihr
  ehdem Amphion halfet, Theben zu
  bemauern, daß mein Lied der Wahrheit nicht
  zuwider sey. O Unglückseligste
  der Menschen, die ihr unaussprechlich hier
  gequält seyd, besser wär' es, wenn ihr auf
  der Welt vom Vieh gebohren wär't! Da wir
  weit unter des Giganten Fuß im Born
  uns fanden, und mein Blick die Mau'r hinan
  noch immer aufgerichtet war, vernahm
  ich diese Stimm: Gieb acht auf deine Schritt,
  und tritt auf deiner armen Brüder Kopf
  nicht mit dem Fuß. Da warf ich meinen Blick
  hinab, und sah, daß vor und unter mir
  ein See war, dessen Eis vielmehr dem Glas,
  als zugefrornem Wasser gliech. So dick
  ist nie das Eis, womit in Oesterreich
  die Donau, und im kalten Himmelsstrich
  den Don der Winter deckt, wie hier. Wenn gleich
  die Berge Tabernich und Pietrapan
  hinauf sich stürzten, würde nicht einmal
  am Rand der kleinste Riß entstehn. Und wie
  zur Sommerzeit, wenn es der Bäuerinn
  vom Aehren-Lesen träumt, aus warmen Pfuhl
  der Frosch das nasse Maul erhebt, und quaxt,
  so ragten schwärzlich gelbe Schatten mit
  dem Angesicht, worauf der Schmerz saß, aus
  dem kalten Eis hervor, und klapperten,
  wie Störche, mit den Zähnen. Jeder neigt
  das Angesicht hinab. Der laute Mund
  und thränenvolle Augen zeugen um
  die Wette von dem innern Schmerz. Nachdem
  ich meinen Blick rings um mich her gewandt,
  und ihn vor meine Füße warf, sah ich
  der Schatten zween so dicht beysammen, daß
  ihr Haar sich in einander schlung. Sagt mir,
  sprach ich, die ihr die Brust so fest auf Brust
  drückt, wer ihr seyd. Sie bogen ihren Hals
  zurück, und da sie das Gesicht zu mir vorher
  erhoben, stürzten Thränen aus vorher
  schon nassen Augen, und verwandelten
  auf beider Wangen sich in Eis, das sie
  so fest zusammenschloß, als Holz an Holz
  durch Klammern wird gefügt. Dieß brachte sie
  zu solcher Wuth, daß sie, den Böcken gleich,
  sich stutzten. Einer von der Nachbarschaft,
  der beide Ohren durch den scharfen Frost
  verlohren hatte, sprach: Was siehest du
  so scharf an uns? Die zween, wornach dein Aug
  so lüstern ist, gebar ein Leib. Das Thal,  1
  worinn Bisenzio entsteht, war ihr
  und ihres Vaters Albert Eigenthum.
  In Kains gesammtem Kreis ist keiner, der
  in dieser Gallerei zu stecken mehr
  verdient, als diese zween; nicht jener, dem
  Arthurus Kreutz und Brust in einem Stich  2
  durchbohrte, nicht Focaccia; der auch nicht,  3
  vor dessen Kopf ich hier nichts sehen kann.
  Sein Nam ist Sassol Mascheroni. Wenn  4
  dich Thuscien gebar, so weißt du, wer
  er war. Damit du aber weiter nicht
  mich fragest, so vernimm, daß Camiscion  5
  aus Pazzischem Geschlecht ich bin, und auf
  Carlino warte, welcher meine Schand 6
  durch größ're Missethat bedecken wird.
  Drauf sah ich tausend Hundsgesichter, durch
  den Frost gerümpfet, deren gräßlich Bild
  mir jederzeit den zugefrornen See
  erschrecklich machen wird. Indeß wir zu
  der Leiden Mittelpunkt und Sammelplatz
  uns näherten, und in dem ew'gen Frost
  ich zitterte, geschah's von ungefehr,
  vielleicht auch, weil es Gottes Will so war,
  daß im vorüber gehen mit dem Fuß
  ich einen ins Gesicht stieß. Dieser scholt
  mich weinend aus, und sprach: Was tritst du mich?
  kommst du vielleicht hierher, die Niederlag
  bey Montaperto fortzusetzen? Was  7
  betrübst du mich? Ich sprach: O Lehrer, wart'
  hier meiner, bis ich einen Zweifel mir
  benommen hab; dann folg' ich dir so schnell
  als du nur willst. Virgil blieb stehn, und ich
  erwiederte dem Schatten, der noch auf
  mich scholt: Wer bist du, daß du so erboßt
  mich anbellst? Wer bist du, sprach er, daß du
  Antenors Kreis durchstreichst, und mit dem Fuß
  die Wangen anderer beschädigest?
  Du unterstündest dich zu viel, wenn du
  noch lebtest. Freilig leb' ich noch, sprach ich;
  dieß sey dir angenehm, wenn du nach Ruhm
  dich sehnst, und wünschest, daß mit andern auch
  dein Nam in meinem Buch steh'. Das will
  ich nicht, erwiedert' er, und pack dich fort,
  und plage mich nicht mehr. Die Schmeicheley
  paßt nicht zu diesem Ort. Da faßt ich ihn
  beym Schopf, und sprach: Entweder sag mir, wie
  du heissest, oder du behältst kein Haar
  auf deinem Kopf. Und wenn du mir es ganz
  ausrissest; wenn du mehr als tausendmal
  mir über meinen Kopf auch fielst, so wirst
  du nie von mir erfahren, wer ich bin.
  Ich hatte schon sein Haar um meine Hand
  gewunden, und der Locken einige,
  indeß er seinen Blick hinaufwärts wandt'
  und mir entgegen bellte, ausgerupft,
  als ihm ein Andrer zuschrie: Bocca! Was
  beginnst du? Ist die Klapper deiner Zähn
  dir nicht genug, wenn du zugleich nicht billst?
  Was für ein Teufel plaget dich? Nun brauch'
  ich deiner Antwort nicht, Verräther! dir
  zu Trutz werd' ich auf jener Welt von dir
  die Wahrheit ausposaunen. Geh! und sag
  von mir, was dir beliebt, erwiedert' er;
  jedoch vergiß auch dieses Schwätzers nicht,
  der mich verräth. Er leidet hier, der Herr
  von Ducra, für der Franzosen Geld;  8
  ich sah ihn, sprich, im Kreis, wo arger Frost
  die Sünder quält. Und wenn dich jemand fragt,
  wer bey ihm war; so wisse, daß bey dir
  hier Beccheria der Verräther steht,  9
  dem Florenz seinen Kopf abschlug. Nicht weit
  von ihm sind Gianni Soldanieri's Sohn,
  und Tribaldelf, der zu Faenza, da
  man schlief, das Thor aufschloß. Indessen gieng
  ich mit dem Lehrer fort, und stieß auf zween
  der Eingefrorenen, in einem Loch,
  und so gestellet, daß des einen Kopf
  des andern Huth war. Wie aus Hunger man
  das Brod ißt, so begierig nagte mit
  den Zähnen, der, der oben war, am Hirn
  des andern, wo es sich mit dem Genick
  zusammenfügt. So nagte Tydeus an
  des Menalippus Schläfen Rachsuchtvoll.
  O du! deß Zorn sich wider den, den du
  zerfrißt, so viehisch zeigt, sag mir, warum?
  sprach ich; ich gebe dir mein Wort, daß, wenn
  du Recht hast, und mir dich und jenes Schuld
  entdeckst, ich dirs auf jener Welt, so lang
  sich meine Zunge regt, vergelten will.

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Drey und dreyßigster Gesang

Erläuterungen:

1 Die Zween: Alessandro, und Napoleone Alberti, Brüder, deren einer den andern in einem Zank umbrachte.

2 Arthurus: König in England, der seinen Sohn, welcher ihm nach dem Leben strebte, tödtete.

3 Focaccia: Aus dem Geschlecht der Cancellieri von Pistoja, welcher seinem Vetter die Hand abhieb, und seinen Onkel tödteten, woraus die verderblichen Factionen der Neri und Bianchi entstanden.

4 welcher seines Vaters Bruder tödtete, ein Florentiner.

5 Mörder seines Vetters Ubertino

6 Ein anderer des nemlichen Geschlechts.

7 wo die Guelfischen Florentiner durch die Verrätherey dieses Bocca degli Abbati von den Gibellinen geschlagen wurden.

8 von Cremona, welcher sich von einem General Karls von Anjou bestechen ließ.

9 ein verrätherischer Abt vom Vallombrosaner Orden, welchem die Florentiner den Kopf abschlugen.