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Ueber das Fegfeuer des Dante.

Unser Dichter steigt aus dem finstern Reiche der Verdammten,

Bujo d'inferno, e di notte privata
D'ogni pianeta sotto pover cielo,

"aus der höllischen Dunkelheit, und der schwarzen Nacht, die unter einem armen Himmel jedes Planeten beraubt ist,"

mit eben der Freude wieder hervor, mit welcher Milton das heilige Licht begrüsset, nachdem er dem stygischen Sumpfe entgangen. Er muntert seine Muse auf, ihren Gesang zu erheben.

Per correr miglior acqua, alza le vele
Omai la navicella del mio ingegno,
Che lascia dietro a sè mar sì crudele;
- - - - -
Ma quì la morta poesia risurge, &c.

"Bessere Fluthen zu durchlaufen, erhebt mein Schiff, das ein so grausames Meer hinter sich lâßt, nunmehr seine Segel. Aber hier schwinge sich die erstorbenen Dichtkunst in die Höhe u. s. w."

Ich will Sie nicht lange in der Erwartung lassen, damit Sie sich nicht etwa mit dem Dichter eine vegebene Freude machen. In der That hätten wir lieber immer mit ihm in der Hölle bleiben mögen. Da beschrieb er uns noch schreckliche Gegenstände, die er so gut schildern konnte, er ließ Affecten reden, deren Sprache ihm so genau bekannt war, eine Sprache, die allen Menschen verständlich und interessant ist. Aber im Fegfeuer, und im Himmel sind keine Affecten mehr; der größte Theil der Personen, die er hier antrifft, sind verdrüßliche, dunkle Scholastiker, die ihre Distinctionen, ihre Kunstwörter mit einer barbarischen Gewalt in widerspänstige Verse hinein zwingen. Die übrigen sind Staatsleutee, Prinzen, und Könige, welche über die politischen Geschäffte der damaligen Zeit, meistentheils mit bittern Anzüglichkeiten wider die Päbste und die ganze Guelfische Partey, sprechen. Hiezu kommen noch, vornehmlich im Paradiese, einige mystische Erscheinungen, über deren Erklärung die Ausleger nie einig gewesen; und dieses zusammen macht den Stoff dieser beyden 125 letzten Theile des Gedichtes. Ich will nicht sagen, daß keine Schönheiten mehr darinn wären; ein Genie, wie unseres Dichters seines, kann sich nicht so lange verleugnen; man findet noch, von Zeit zu Zeit, kühne, starke, mahlerische Züge. In seinen Stücken scholastischer Gelehrsamkeit selbst glänzt zuweilen ein starker Gedanke, ein glücklicher Ausdruck, der das innere Wesen einer Sache fühlbar macht. Aber es sind kurze Blitze, die durch eine düstere Nacht schimmern, und sogleich wieder verschwinden. Man findet keine einzige schöne Stelle weder von der Stärke, noch von dem Umfange mehr, wie die vom Ugolin, von der Herzoginn von Rimini; Stellen, die den unwilligsten Leser wieder mit dem Dichter ausssöhnen können, wenn er ihn auch, ich weiß nicht durch wie viele Seiten von Unsinn erbittert hätte.

Das große Unglück unsers Dichters war, daß er die wahren Vorzüge der Kunst, und seine eignen Talente so wenig kannte. Er glaubte, seine Poesie zu erheben, und mehr Wunderbares hinein zu bringen, wenn 126 er sie seine Gelehrsamkeit auskramen ließ. Zu seiner Entschuldigung könnte man sagen, daß seine Zeitverwandten eben so gedacht haben, bey denen ein Mann, der so viele Distinctionen und Kunstwörter, so viel Astronomie und gar Astrologie verstund, mehr als ein anderer Mensch, und eine Art von Zauberer war. Indessen müssen wir diesen gothischen Geschmack nothwendig verwünschen, der uns so viele Schönheiten von einem Genie geraubt hat, das zur Nachahmung der Natur gebohren war, und dem vielleicht unter allen seinen Nachfolgern bey den Italienern keines gleich gewesen.

Ich werde Ihnen wieder den Plan des Fegfeuers sowohl, als des Paradieses entwerfen, und einige Stellen daraus zur Probe vorlegen, um Ihnen, so viel es mir möglich seyn wird, einen Begriff von dem Ganzen zu geben. Das Fegfeuer hat eine Art von Vorhof, wie die Hölle, wo der Dichter einen Greis antrifft, der über die ankommenden Seelen die Aufsicht hat, "so ehrwürdig in seinem Anblicke, daß es ein Vater seinem 127 Sohne nicht mehr seyn kann." Aber welchen von den heiligen Vätern glauben Sie wohl in der Person dieses Greisen anzutreffen, nachdem wir so manchen würdigen Pabst eine so klägliche Rolle in der Hölle haben spielen gesehen? Es ist kein anderer als Cato, "der zu Utica das Kleid zurück gelassen, welches, wie unser Dichter versichert, am grossen Tage sehr glänzend erscheinen wird." Wundern Sie sich hierüber noch nicht; denn im Paradiese werden wir bald den Trojaner Riphäus, und den Kaiser Trajan finden. Vielleicht würden Sie selbst lieber den Trajan, als manchen Pabst, in dem Himmel dulden; aber bey einem katholischen Dichter, wie Dante war, ist dieses allemahl wenigstens ein grober Fehler wider das Costume. Nachdem Virgil dem Cato die Geschichte ihre Reise erzählt, und von ihm Unterricht bekommen, wie sie sich hier zu verhalten haben, nämlich, daß Dante sich waschen und mit einer Binse umgürten muß, so sehen sie ein Schiff mit neu ankommenden Seelen, auf welchem ein Engel Steuermann ist. Diese Seelen singen alle mit einer Stimme128 den Psalm in exitu Israël. Unter ihnen ist Casella, ein berühmter Tonkünstler, der die Oden unsers Dichters in Musik gesetzt hatte. Dante will ihn umarmen; "aber dreymal schlingt er die Hände um ihn, und dreymal kehrt er mit den Händen auf seine Brust zurück." Man sieht wohl, daß er das virgilianische ter conatur hat nachahmen wollen; aber er hat den Gegenstand nach seiner eignen Manier angesehen, und das Gemählde, das er davon macht, ist vielleicht noch ausdrückender, obgleich nicht so fein, als Virgils seines. Casella singt ihm eine seiner Oden so reizend vor, daß ihm die Lieblichkeit des Gesanges noch im Herzen tönet, "che la dolcezza ancor dentro mi suona." Sie stellen sich leicht vor, daß unserem Dichter die Zeit nicht lang wird, seine Verse so schön singen zu hören; aber Cato kömmt bald als ein Pädagoge, diese Lust zu stören, und sie auseinander zu treiben, damit sie ihre Reise beschleunigen.

Ich habe Ihnen schon gesagt, daß das Fegfeuer auf verschiedenen Anhöhen eines Berges liegt, die sich stuffenweise über einander 129 erheben. Ich füge nur noch hinzu, daß dieses derselbe Berg ist, auf dem das Paradies für unsere ersten Eltern angelegt war, über dessen eigentliche Lage viele grosse Gelehrte so eifrig gestritten haben, und welches hier noch auf dem Gipfel des Berges in seiner völligen Schönheit blühet, wenn wir unserem Dichter glauben dürfen. Der Berg selbst aber liegt auf der Hemisphäre, die der unsrigen entgegen gesetzt ist, und folglich in dem neuen Theile der Welt, der zur Zeit des Dante noch nicht entdeckt war. Seine Reise darauf fortzusetzen, fängt er mit Virgilen an zu klettern; aber sie finden den Berg noch steiler, als eine Linie, die von der Hälfte des Quadranten nach dem Mittelpunkte geht. Man sieht, wie er die Gelegenheit sucht, seine Meßkunst anzubringen. Aber dies ist hier nur eine Kleinigkeit, welche die ersten Anfänger wissen; er geht viel weiter, er läßt die Sonne fast niemals aufgehen, ohne ihren Stand, in Ansehung der andern Gestirne, aufs genauste zu bestimmen, und dabey alle die Zirkel zu nennen, mit denen die alten Astronomen sowohl die Erde, als 130 den Himmel überzogen haben; er spricht sogar von Antipoden, wie denn selbst die Bewohner seines Fegfeurs die unsrigen sind, und diese Ketzerey, welche Galilei nachher, sowohl als die verdammliche Lehre vom Umlaufe der Erde, so hart büssen mußte, hat dieses Gedicht dennoch nicht in den Index gebracht.

Auf der untern Seite des Berges, und noch ausser dem Bezirke des Fegfeuers, sind die Seelen derjenigen, die aus Nachläßigkeit ihre Busse bis ans Ende verschoben haben. Bey diesen Seelen suchen unsere Reisenden, von Zeit zu Zeit, Bericht, wenn sie den Weg nicht finden können, der überaus uneben und verwirrt ist. Da sie einmal wieder in dieser Verlegenheit sind, zeigt Virgil dem Dante eine Seele, die von den andern abgesondert steht, und ihre Blicke starr auf die beyden Fremdlinge heftet. "O Lombardische Seele," ruft unser Dichter aus, (denn diese Seele ist Sordello, ein berühmter Schriftsteller zu des Dante Zeiten, und, wie Virgil, ein Mantuaner,) "wie stolz und unwillig stundest du da, wie ehrbar und langsam 131 in der Bewegung deiner Augen! Er sagte uns nichts, sondern ließ uns vorübergehen, indem er nur auf uns sah, nach Art eines Löwen, wenn er ruhet."

- - - - O anima Lombarda,
Come ti stavi altera e disdegnosa,
E nel muover degli occhi onesta e tarda!
Ella non ci diceva alcuna cosa:
Ma lasciavane gir, solo guardando
A guisa di leon, quando si posa.

Virgil geht zu Sordello hin um sich nach dem Wege zu erkundigen. Dieser will zuerst wissen, wer sie sind, worauf ihm Virgil anfangs nur sagt, daß er aus Mantua ist. So bald Sordello dieses hört, so unarmt er seinen Landsmann voll Zärtlichkeit und Freude, ohne sonst noch zu wissen, wer er ist. Hievon nimmt unser Dichter die Gelegenheit zu einer sehr edlen Digreßion, die ich Ihnen zum Theil hier vorlegen will.

"O sclavisches Italien, Wohnplatz der Qual, Schiff ohne Steuermann in grossen 132 Stürmen, nicht mehr Beherrscherinn der Provinzen, sondern eine Cloake ihrer Unreinigkeiten! Dieser edle Geist war so fertig, bloß wegen des angenehmen Namens seines Vaterlandes, seinem Landsmanne hier Ehre zu bezeugen; und die noch in dir wohnen, leben in beständiger Zwietracht, und diejenigen, die Ein Graben und Eine Mauer einschließt, nagen einander. Suche, unglückseliges Land, rings umher an deinen Ufern, und sieh nachher in deinen Busen, ob irgend ein Theil von dir des Friedens geniesset."

Ahi serva Italia, di dolore ostello,
Nave senza nocchiero, in gran tempesta,
Non donna di provincie, ma bordello!
Quell' anima gentil fu così presta,
Sol per dolce suon della sua terra,
Di fare al cittadin suo quivi festa;
Ed ora in te non stanno senza guerra
Li vivi tuoi, e l'un l'altro si rode
Di quei, ch'un muro e una fossa serra.
Cerca, misera, intorno dalle prode
Le tue marine, e poi ti guarda in seno,
S'alcuna parte in te di pace gode. -

"O du Albert, Beherrscher der Deutschen, der du dies Land 133 verlässest, das unbezähmt und wild geworden, das gerechte Gericht des Himmels stürze auf 1 dein Blut; und dieses Gericht sey neu und offenbar, damit dein Nachfolger davor erschrecke; denn du, und dein Vater habt, aus Habsucht jenseits der Gebürge zurückgehalten, den Garten des Reichs zu einer Wüste werden lassen. Komm, sorgloser Mann, siehe die Montecchi, und die Cappelletti, die Monaldi, und die Filippeschi, jene schon in 134 Trauren, diese voll Furcht und Argwohn. Komm, Grausamer, komm, und betrachte die Unterdrückung deiner Anhänger, und heile ihre Wunden. Komm, dein Rom zu sehen, welches verwittibt und einsam weinet, und Tag und Nacht ausruft: Mein Cäsar, warum bist du nicht bey mir? Komm und siehe, wie die Völker sich lieben, und rührt dich kein Mitleid für uns, so erröthe über dich selbst. Und du, o höchstes Wesen, das auf der Erde den Tod für uns erlitten, sind deine gerechten Augen, wenn ich dich fragen darf, anders wohin gewandt? 135 Oder ist es ein höheres Gut, das unsere schärffsten Blicke nicht erreichen, welches du in dem Abgrunde deiner Rathschläge bereitest? Denn alle Länder Italiens sind voll von Tyrannen, und jeder Landmann, der sich zum Parteygänger aufwirft, wird ein Marcell."

O Alberto Tedesco, ch' abbandoni
Costei, ch' è fatta indomita e selvaggia,
Giusto giudicio dalle stelle caggia
Sovra 'l tuo sangue, e sia nuovo, e aperto,
Tal, che'l tuo successor temenza n'aggia.
Ch' avete tu, e' ll tuo padre sofferto,
Per cupidigia di costà distretti,
Che 'l giardin dello 'mperio sia diserto.
Vieni a veder Montecchi, e Cappelletti,
Monaldi, e Filippeschi, uom senza cura,
Color già tristi, e costor con sospetti.
Vien, crudel, vieni, e vedi l'oppressura
De' tuoi gentili, e cura lor magagne.
Vieni a veder la tua Roma che piagne,
Vedova, sola, e dì e notte chiama,
Cesare mio, perchè non m'accompagne?
Vieni a veder la gente, quanto s'ama;
E se nulla di noi pietà ti muove,
A vergognar ti vien della tua fama.
E se lecito m'è, o sommo Giove,
Che fosti'n terra per noi crocifisso,
Son li giusti occhi tuoi rivolti altrove?
O è preparazion, che nell' abisso
Del tuo consiglio fai, per alcun bene
In tutto dall' accorger nostro scisso?
Che le terre d'Italia tutte piene
Son di Tiranni; e un Marcel diventa
Ogni villan, che parteggiando viene.

Darauf wendet sich der Dichter an seine geliebte Vaterstadt, wider die er seinen Unwillen mit einer bittern Ironie äussert.

"Mein Florenz," sagt er, "du kannst mit diesen Betrachtungen wohl zufrieden seyn, die dich nicht treffen; Dank sey deinem Volke dafür, das mit so grosser Weisheit denket. 136 Sey du itzt fröhlich, denn du hast wohl Ursache dazu; du bist reich, du bist in Friede, du bist voll Einsicht. Ob ich die Wahrheit rede, das zeigt die Würkung. Athen, und Lacedämon, welche die alten Gesetze gestiftet, und so gesittet waren, haben, mit dir verglichen, in der Kunst zu leben nur kleine Winke gegeben. - Wie oft hast du von der Zeit an, deren du dich erinnerst, Gesetze, Münzen, Aemter und Sitten verändert, und neue Obrigkeiten gesetzet? Wenn du deinen Zustand recht betrachtest, so wirst du dich dem Kranken ähnlich sehen, der auf seinen Federn keine 137 Ruhe findet, und nur den einzigen Schutz für seine Schmerzen noch hat, daß er sich umkehrt."

Fiorenza mia, ben puoi esser contenta
Di questa digression, che non ti tocca,
Mercè del popol tuo, che sì argomenta. -
Or ti fa lieta, che tu hai ben onde:
Tu ricca: tu con pace: tu con senno.
S' i' dico ver, l' effetto nol nasconde.
Atene, e Lacedemona, che senno
L'antiche leggi, e furon sì civili,
Fecero al viver bene un picciol cenno
Verso di te. - - - -
Quante volte del tempo, che rimembre,
Legge, moneta, e ufficio, e costume
Ha tu mutato, e rinnovato membre?
E se ben ti ricorda, e vedi lume,
Vedrai te simigliante a quella 'nferma,
Che non può trovar posa in su le piume,
Ma con dar volta suo dolore scherma.
Purg. Canto VI.

Hierauf setzen die Dichter in Gesellschaft des Sordello ihre Reise fort. Durch einen gekrümmten, steilen Weg kommen sie auf eine sehr anmuthige Wiese, deren bunter Schmelz den Glanz und die Farben der schönsten Edelsteine übertrifft. "Und hier war die Natur nicht nur Mahlerinn gewesen, sondern sie hatte auch aus tausend verschiedenen Gerüchen eine unbekannte, unbeschreibliche Lieblichkeit hervorgebracht."

Non avea pur natura ivi dipinto,
ma di soavità di mille odori
vi facea un incognito e indistinto.
Purg. VII, 79-81 (Bosco e Reggio)

Diese schöne Wiese ist der Aufenthalt der Könige, die, in die Sorgen ihrer weltlichen Hoheit verwickelt, die Busse bis ans Ende verschoben haben. Unter ihnen ist Philipp der dritte, König von Frankreich, der sich über den Verlust eines Seetreffens wider eine arragonische Flotte zu Tode grämte. Er sitzt hier noch in einer traurigen Stellung, "und hat seiner Wange, seufzend, 138 aus der flachen Hand ein Bett gemacht."

- - - - - - c'ha fatto a la guancia
de la sua palma, sospirando, letto.
Purg. VII 107-08 (Bosco e Reggio)

Neben ihm ist Heinrich, König von Navarra, der Schwiegersohn, so wie jener der Vater der französichen Krankheit; so nennt der Dichter Philipp den Schönen, wider den er sehr erbittert ist, nicht nur weil Philipp das Haupt der guelfischen Partey seiner Zeit, sondern auch ein Bruder des Carls von Valois war, durch den Dante aus Florenz verbannt wurde. Auf dieser Wiese überfällt ihn der Abend, "die Stunde kömmt heran, welche den neuen Reisenden mit Sehnsucht spornet, wenn er von fern die Glocke hört, welche den sterbenden Tag zu beklagen scheint."

Che lo nuovo peregrin d'amore
Punge, se ode squilla da lontano,
Che paja' l giorno pianger, che si muore.

Doch macht er noch neue Bekanntschaften; er findet einen Nino aus dem Hause der Visconti, der die Unbeständigkeit der weiblichen Liebe tadelt, und einen Conrad Malespina, der ihm seine Verbannung prophezeyt.

Gegen den Anbruch der Morgenröthe, "zu der Zeit, da unsere Seele, am meisten 139 von dem Fleische getrennet, und am wenigsten von den Sorgen gefesselt, in ihren Gesichten fast göttlich ist,"

E che la mente nostra, peregrina
Più da la carne e men da pensier presa,
A le sue visïon quasi è divina,
Purg. IX 16-18. (Bosco e Reggio)

schläft er ein, und sieht im Traume einen Adler, mit goldnen Federn und ausgebreiteten Flügeln, der wie ein Blitz auf ihn herabstürtzt, und ihn wieder mit sich in die Höhe bis in die Region des Feuers reißt. Die eingebildete Hitze brennt ihn so sehr, daß er darüber erwacht, und ganz erschrocken auffährt. Virgil heißt ihn sicher seyn, und sagt ihm:

"Du bist itzt bey dem Fegfeuer angelangt; du siehest hier diese Anhöhe, die es rings umher einschließt, und dort, wo sie sich zu trennen scheint, ist der Eingang. Noch ehe die Morgenröthe den Tag ankündigte, da deine Seele auf den Blumen schlief, mit welchen jenes Thal geschmückt ist, kam ein Frauenzimmer und sagte: Ich bin Lucia, laßt mich diesen nehmen, der hier schläft. Sordello blieb zurück, sie nahm dich, und da der Tag sich erhellte, setzte sie dich hieher."

Tu se' omai al purgatorio giunto:
vedi là il balzo che 'l chiude dintorno;
vedi l'entrata là 've par digiunto.
Dianzi, ne l'alba che procede al giorno,
quando l'anima tua dentro dormia,
sovra li fiori ond' è là giù addorno
venne una donna, e disse: I' son Lucia;
lasciatemi pigliar costui che dorme;
Sì l'agevolerò per la sua via'.
Sordel rimase e l'altre gentil forme;
ella ti tolse, e come 'l dì fu chiaro,
sen venne suso; e io per le sue orme.
Qui ti posò, - - - - -
Purg. IX 49-61 (Bosco e Reggio)

Dante ist also nunmehr an der Pforte des Fegfeuers, zu der man auf drey schönen marmornen Stuffen aufsteigt. "Die erste ist weiß und spiegelglatt, 140 die letzte von Porphyr, und so roth, wie das Blut, das aus der Ader spritzt."

(Là ne venimmo;) e lo scaglion primaio
bianco marmo era sì polito e terso,
ch'io mi qual io paio.specchiai in esso
- - - - - -
Lo terzo, che di sopra s'ammassiccia ,
porfido mi parea, sì fiammegiante
come sangue che fuor di vena spiccia.
Purg. IX 94-96, 100-102 (Bosco e Reggio)

Die Schwelle des Thors ist von Diamant. Auf dieser sitzt der Engel, der hier das Amt des Thürhüters verwaltet, und ein flammendes Schwerdt in der Rechten hält, so blendend, daß Dante oft den Blick vergebens darauf wirft. Er kniet, als ein guter Katholik, vor dem Engel nieder, schlägt sich dreymal an die Brust, und bittet um Erbarmen; worauf ihm der Engel mit der Spitze seines Schwerdtes sieben P in die Stirne gräbt, und ihm befiehlt, diese Wunden im Fegfeuer zu heilen. Sie sehen wohl, daß die sieben P die sieben Todtsünden bedeuten. Der Engel warnet ihn zugleich, nicht mehr zurückzusehen, wenn er hinein tritt; denn diejenigen müssen wieder heraus, die sich umsehen. Die Angel rauschen, indem sich die Thür eröffnet, und mit diesem Geräusche, welches der Musik einer Orgel ähnlich ist, vereinigt sich der Gesang eines Te Deum, welches der Dichter bey seinem Eintritte anstimmen hört.

141 Er kömmt sogleich auf die erste Anhöhe des Fegfeuers, auf welcher die Hochtmüthigen von ihrem Laster gereiniget werden. Sie ist ringsumher mit einem Rande von weissem Marmor eingefaßt, auf welchem verschiedne Beyspiele der Demuth und des Hochmuths in einer Sculptur vorgestellt sind,

"die nicht nur einen Polyklet, sondern die Natur selbst beschämen könnte. Der Engel, der zu uns herab mit der Verheissung des so viele Jahre beweinten Friedens kam, welcher den lange verschloßnen Himmel wieder eröffnete, stund vor unsern Augen in einer sanftmüthigen Stellung, mit solcher Wahrheit geschildert, daß er nicht mehr ein Bild schien, welches schweiget; man würde geschworen haben, daß er sagte: Sey gegrüsset."

esser di marmo candido e addorno
d'intagli sì, che non pur Policleto,
ma la natura lì avrebbe scorne.
L'angel che venne in terra col decreto
de la molt' anni lagrimata pace,
ch'aperse il ciel del suo lungo divieto,
dinanzi a noi pareva sì verace
quivi intagliato in un atto soave,
che non sembiava imagine che tace.
Giurato si saria ch'el dicesse 'Ave!';
Purg. X, 31-43 (Bosco e Reggio)

Nachher sieht man den feyerlichen Einzug der Stiftshütte zu Jerusalem. Vor ihr her gehen sieben Chöre Sänger, welche zween Sinne des Dichters in Streit setzen, indem der eine sagt, sie singen, der andere, sie singen nicht. Neben diesen heiligen Geschichten sieht man eine Wittwe, in Schmerz und Thränen vorgestellt, 142 di lagrime atteggiata, e di dolore, welche dem Kayser Trajan, der eben zu Felde ziehen will, in den Zügel des Pferdes fällt.

"Rings um ihn her steht ein zusammengedrängter Haufe von Rittern, und über ihnen scheinen die goldnen Adler in den Wind zu flattern. Die Elende schien zu sagen: Herr, schaffe mir Rache für meinen ermordeten Sohn, und er ihr zu antworten: Warte nunmehr, bis ich zurückkomme. Sie versetzt als eine Person, bey welcher der Schmerz keinen Aufschub duldet: Aber wenn du nicht zurückkehrst? und er: so wird mein Nachfolger dich rächen. Sie sagt ihm: wird ein anderer deine Pflicht erfüllen, wenn du sie vergissest? Hierauf versetzt er: Sey getrost, den meine Pflicht muß erfüllt werden, ehe ich noch aufbreche; Die Gerechtigkeit fordert es, und das Mitleid hält mich bey dir. - Derjenige, dem niemals etwas neu gewesen, hatte dieses sichtbare Reden, neu für uns, weil es sich auf der Erde nicht findet, hervorgebracht."

D'intorno a lui parea calcato e pieno
Di cavalieri, e l'aguglie nell' oro
Sovr' esso in vista al vento si moviéno.
La miserella intra tutti costoro
Parea dicer: Signor, fammi vendetta
Del mio figliuol ch' è morto, ond'io m'accoro,
Ed egli a lei rispondere: Ora aspetta
Tanto ch'i' torni; ed ella: Signor mio,
Come persona, in cui dolor s' affretta,
Se tu non torni? ed ei: Chi sia, dov' io,
La ti farà, ed ella: L'altrui bene
A te che sia, se'l tuo metti in obblio?
Ond' elli: Or ti conforta, che conviene,
Ch'i'solva il mio dovere, anzi ch' i' muova;
Giustizia vuole, e pietà mi ritiene. -
Colui, che mai non vide cosa nuova,
Produsse esto visibile parlare
Novello a noi, perchè qui non si truova.
Canto X. (79 - 96)

Unter den Bildern der Hochmüthigen sieht man den "Stolzen, der edler als irgend ein ander Geschöpf geschaffen, flammend wie ein Blitz, vom Himmel herabstürzte."

Nach diesen Bildern betrachtet der Dichter die Bewohner dieser Anhöhe, die ihm anfangs keine menschliche Gestalten scheinen, 144 so tief sind sie von schweren Lasten zur Erde gebeugt. Diese sind diejenigen, die in ihrem Leben so stolz gewesen. "O hochmütige, elende Christen, ruft er aus, entdeckt ihr nicht, daß wir nur Würmer sind, gebohren, den englischen Schmetterling hervorzubringen, welcher der höchsten Gerechtigkeit ohne Schirm entgegen fliegt?"

Non v'accorgete voi, che noi siam vermi,
Nati a formar l'angelica farfalla,
Che vola alla giustizia senza schermi?
X 124-126

Hierauf folgen wieder Gespräche mit den Personen, die sich hier befinden, bey denen ich nicht gar oft mehr Ursache haben werde, mich aufzuhalten. Einen Oderisi wollen wir hier nur bemerken, einen Miniaturmahler, der dem Dante aufrichtig gesteht, daß die Gemählde seines Schülers, des Franco von Bologna, "mehr lachen, als die seinigen,"

- - - più ridon le carte,
Che pennelleggia Franco Bolognese.
XI, 82-83

"Da ich noch lebte," fügt er hinzu, "würde ich nicht so leicht gelobt haben, wegen der grossen Begierde, andere zu übertreffen, auf die mein Herz geheftet war. - 145 Cimabue glaubte das Feld in der Mahlerey zu behaupten; und itzt ist Giotto in solchem Rufe, daß er den Ruhm des ersten verdunkelt. So hat der eine 2 Guido dem andern den Ruhm der Sprache geraubt, und vielleicht ist derjenige gebohren, der sie beyde von ihrem Platze verdrängen wird." Dies ist ein Compliment, welches der Dichter sich selbst macht. "Der Ruf der Welt," fährt er fort, "ist nichts als der Hauch eines Windes, der bald von dieser, bald von jener Seite kömmt, und seinen Namen mit dem Orte verändert, von dem er wehet."

Non è 'l mondan romore altro ch' un fiato
Di vento, ch' or vien quinci, e or vien quindi,
E muta nome, perchè muta lato.
XI, 100-103

Nachdem unsere beyden Dichter diese Anhöhe ganz durchgewandert, so erscheint ihnen ein Engel, "weiß gekleidet, und in seinem Angesichte gleich dem Morgenstern, der mit zitterndem Lichte glänzet."(XII, 88-90) Er schlägt den Dante mit seinen Flügeln auf die 146 Stirn, worauf eines von den sieben P verschwindet, und der Dichter so leicht wird, daß er nunmehr ohne Mühe den Berg hinansteigt. Beym Aufsteigen auf die zweyte Anhöhe hört er singen: Beati pauperes spiritu. "O wie verschieden, ruft er aus, sind diese Wege von den Wegen der Hölle! Hier giengen wir unter Gesängen, und dort unten unter wildem Wehklagen." (XII, 112-114).

Diese zweyte Anhöhe ist für die Neidischen. Sie sind in härne Hemde gekleidet, und die Augen sind ihnen mit einem eisernen Drate zusammengeheftet; diese Beraubung des Gesichts zwingt sie, sich, vom ersten bis zum letzten, einer auf den andern zu stützen, um nicht zu fallen. Unserem Dichter schlägt das Gewissen, da er diese Elenden sieht; doch nicht sehr stark, sagt er, weit übler war ihm unten bey den Hochmüthigen zu Muthe. Hier kommen wieder weitläufige Gespräche, die wir überschlagen wollen.

Ein Engel bringt ihn auf die dritte Anhöhe, den Aufenthalt der Zornigen. Ein 147 Psalm wird wieder angestimmt, und dieses geschieht ferner noch durch das Fegfeuer, und durch das ganze Paradies, bey allen Gelegenheiten. Virgil giebt ihm hier eine Lection von der heiligen Liebe. Ich will ihnen dieselbe, als ein Stück der Philosophie des Dichters vorlegen, das keines von den schlechtesten ist.

"Weil eure Begierden," sagt ihm Virgil, "sich auf Dinge heften, die durch die Gesellschaft anderer gemindert werden, erreget der Neid so häufige Seufzer. Aber wenn die Liebe der obern Sphäre euer Verlangen erhübe, so würde keine solche Furcht mehr in euern Herzen wohnen; denn jemehr man dort oben unser nennt, destomehr Glück 147 besitzt ein jeder, destomehr brennt er von Liebe."

Perchè s'appuntano i vostri desiri,
Dove per compagnia parte si scema,
Invidia muove il mantaco a sospiri.
Ma se l'amor della spera suprema
Torcesse'n suso'l desiderio vostro,
Non vi sarebbe al petto quella tema:
Che per quanto si dice più lì nostro,
Tanto possiede più di ben ciascuno,
E più di caritate arde`n quel chiostro. -
XV, 49 - 57.

"Jenes unendliche, unaussprechliche Gut, welches den Himmel erfüllet, würkt auf die Liebe, wie die Strahlen der Sonne auf einen durchsichtigen Körper. So viel Glück theilt es mit, als es Liebe findet, so daß, jemehr diese sich ausbreitet, destomehr über ihr der Einfluß des höchsten Gutes wächst. Und je mehrere an diesem Glücke Theil haben, desto mehr finden sie Gründe zu lieben, desto mehr lieben sie, und, wie Spiegel unter sich, theilt einer dem andern seine Flammen mit."

Quello 'nfinito, ed ineffabil bene,
Che lassù è, così corre ad amore,
Com'a lucido corpo raggio viene.
Tanto si da, quanto trova d'ardore;
Sì che quantunque carità si stende,
Cresce sovr' essa l'eterno valore.
E quanta gente più lassù s'intende,
Più v' è da bene amare, e più vi s'ama,
E come specchio l'uno all'altro rende.
Canto XV, 67-75.

Hierauf fällt der Dichter in eine ecstatische Vision, und sieht 149 eine Menge Volks in einem Tempel versammlet, und eine Frau an der Schwelle, die in der sanften Geberde einer Mutter sagt: "Mein Sohn, warum hast du so gegen uns gethan?" Nach seiner Gewohnheit, beständig das Heilige mit dem Profanen zu vermengen, sieht er hierauf den Pisistratus mit seiner Gemahlinn, und nachher wieder "Leute, in Flammen des Zorns entbrannt, die einen Jüngling mit Steinen tödten, und mächtig einander zuruffen, martere, martere. Und ihn sah ich unter dem Tode, der schon auf ihn drückte, sich gegen die Erde beugen, aber seine Augen waren beständig gegen den Himmel gewandt. Er betete in einem so grossen Kampfe zum höchsten 150 Vater, daß er seinen Verfolgern vergeben möchte, mit dem Anblicke, der das Mitleid erzwinget."

Poi vidi genti, accese in fuoco d'ira,
Con pietre un giovinetto ancider, forte
Gridando a se pur: Martira, martira.
E lui vedea chinarsi per la morte,
Che l'aggravava già, inver la terra,
Ma degli occhi facea sempre al Ciel porte;
Orando all' alto sire in tanta guerra,
Che perdonasse a' suoi persecutori,
Con quell' aspetto, che pietà disserra.
XV, 106 - 114.

Diese Erscheinung hat unser Dichter nicht im Schlafe gehabt, sondern er ist dabey taumelnd, wie ein Betrunkener, über eine halbe Meile fortgegangen, ohne es zu wissen. Hierauf erhebt sich rings um diese Anhöhe ein dicker Rauch, dunkel wie die Nacht, in welchem die Zornigen gepeinigt werden. Unter diesen findet er einen gewissen Marco, einen Lombarden, der ihm beweist, daß unsere Handlungen frey sind. "Wenn die Welt," sagt er ihm, "euch von dem rechten Wege führt, so ist in euch die Ursache, in euch allein muß sie gesucht werden; und ich werde dir itzt wahre Kundschaft davon geben. Unsere Seele kömmt von der Hand desjenigen, der sie schon vor 151 ihrer Entstehung betrachtet, als ein Kind, das lachend und weinend tändelt, einfältig, ohne etwas zu wissen, ausser daß sie, von einem seligen Schöpfer entsprungen, gern zu demjenigen zurückkehrt, was ihr Vergnügen macht. Sie kostet anfangs den Geschmack eines kleinen Gutes; hier betrügt sie sich, und läuft demselben nach, wo nicht ein Führer, oder ein Zügel ihre Liebe lenket. Daher waren Gesetze, statt des Zügels, nöthig. - Die Gesetze sind da, aber wer legt die Hand an sie? - Du kannst wohl sehen, daß die Verderbniß der Welt eine Frucht der üblen 152 Regierung, und nicht der Natur ist. Rom, welches die Welt verbesserte, pflegte vordem zwo Sonnen zu haben, welche den doppelten Weg, Gottes und der Welt, erleuchteten. Die eine dieser Sonnen hat die andere verlöscht; der Degen ist mit dem Bischofsstabe vereinigt, und beyde zusammen müssen nothwendig zum Verderben führen, indem dieser nicht mehr jenen, noch jener diesen fürchtet. Wo du mir nicht glaubest, so betrachte nur die Aehren; denn jedes Kraut erkennt man an dem Saamen. In dem Lande, welches der Po und die Eddisch beströmen, pflegte man 153 sonst nach Huld und Verdienste zu finden. Itzt kann jeder sicher dahin gehn, der aus Scham nicht mehr mit Rechtschaffnen reden, noch sich ihnen nähern darf. Noch sind zwar drey Greise, in denen das vorige Jahrhundert das itzige schilt. u. s. w."

- - - Se'l mondo presente vi svia,
In voi è la cagione, in voi si cheggia;
Ed io te ne sarò or vera spia.
Esce di mano a lui, che la vagheggia,
Prima che sia, a guisa di fanciulla,
Che piangendo, e ridendo pargoleggia,
L'anima semplicetta, che fa nulla,
Salvo che mossa da lieto fattore,
Volontier torna a ciò, che la trastulla.
Da picciol bene in pria sente sapore;
Quivi s'inganna, e dietro a esso corre,
Se guida, o fren non torce'l suo amore.
Onde convenne legge per fren porre:
83-94
 
Le leggi son, ma chi pon mano ad esse?
97
 
Ben puoi veder, che la mala condotta
È la cagion, che 'l mondo ha fatto reo,
E non natura, che' n voi sia corrotta.
Soleva Roma, che'l buon mondo feo,
Duo soli aver, che l'una e l'altra strada
Facèn vedere, e del Mondo, e di Deo.
L'un l'altro ha spento, ed è giunta la spada
Col pasturale, e l'uno e l'altro insieme
Per viva forza mal convien che vada;
Perocchè giunti, l'un l'altro non teme.
Se non mi credi, pon mente alla spiga;
Ch'ogni erba si conosce per lo seme.
In sul paese, ch'Adice e Po riga,
Solea valore e cortesia trovarsi:
103-116
 
Or può sicuramente indi passarsi
Per qualunque lasciasse per vergogna,
Di ragionar co' buoni, o d'appresarsi.
Ben v'en tre vecchi ancora, in cui rampogna
L'antica età la nuova. - -
Canto XVI, 118 - 122.

Von diesen braven Männern war einer ein Gherardo von Camino, dem man den Beynamen des Guten gegeben hatte. Sie haben aber hier wieder den eifrigen Gibellin in unserem Dichter gesehen.

Nunmehr kömmt er, wieder in Gesellschaft eines Engels, auf die vierte Anhöhe, wo die frostigen und die trägen Seelen in Eifer und in Bewegung gesetzt werden. Virgil liest ihm ein weitläuftig Capitel, voll Distinctionen und harter Verse, über die 154 natürliche Liebe, welches fast durch zween Gesänge dauert. Nachher sehen sie eine Menge dieser phlegmatischen Seelen mit einer wunderbaren Schnelligkeit vor sich vorbeyrennen, durch welche sie von ihrer Faulheit sich entwöhnen müssen. Es ist also hier keine Zeit zu langen Gesprächen. Ein Abt von St. Zeno in Verona sagt ihnen nur ein paar Worte in Vorübergehen. Dante geräth darüber in allerhand weitschweifige Betrachtungen, schließt die Augen zu, und verwandelt die Gedanken in einen Traum, in welchem ihm das Laster, wie dem Herkules des Prodikus, erscheint, und ihn durch seine Syrenenstimme zu verführen sucht. Aber die Tugend kömmt hinzu, entblösset seine Häßlichkeit, und treibt es in die Flucht.

Von hier kömmt er mit dem neuen Tage auf die fünfte Anhöhe, welche die Geizigen bewohnen. Sie vermuthen wohl unter diesen wieder einen Pabst anzutreffen, und Sie irren sich nicht. Es ist Hadrian der vierte, der aber noch mit ziemlicher Würde erscheint. Dante will sogar vor 155 ihm auf die Knie fallen, welches er aber nicht zuläßt. "Meine Bekehrung, ach Himmel!" sagt er ihm seufzend, "kam sehr spät. Aber als ich römischer Bischof wurde, da entdeckte ich den Betrug des Lebens. Ich fand, daß mein Herz sich noch nicht beruhigte, und dennoch konnte ich, auf der Erde, nicht höher mehr steigen. Hiedurch entbrannt in mir die Liebe dieses ewigen Lebens." (Purg. XIX, 106-111)

Nach diesem Pabste sieht der Dichter den Hugo, den Stammvater der Caperischen Könige in Frankreich, der ihm eine vortreffliche Gelegenheit giebt, seine Galle wider die Könige von Frankreich, und vornehmlich wider den Carl von Valois, den Urheber seiner Verbannung und seines Unglücks, auszulassen. Hugo erzählt ihm selbst (ab XX, 49) seine, und seiner Nachkommen Geschichte. "Von mir," sagt er ihm, "stammen die Philippe und die Ludwige, welche itzt Frankreich regieren. Ich war nichts als der Sohn eines Fleischers zu Paris, da die alten Könige zusammen ausstarben, bis auf einen, der sich in eine Münchskutte versteckt hatte."

Hierauf erzählt er ihm, wie 156 seine Nachkommen, durch List und Gewalt, ihren Raub immer mehr erweitert hätten; wie sie Ponthieu, die Normandie, und Gascogne an sich gerissen; wie Carl von Anjou nach Italien gegangen, und den unglücklichen Conradin zu seinem Schlachtopfer gemacht. Endlich fährt er fort:

"Ich sehe eine Zeit, nicht fern von der unsrigen, die einen zweyten Carl (dieses ist Carl von Valois) aus Frankreich zieht, um Ihn und die Seinigen besser kennen zu lehren. Er tritt ohne Waffen hervor, bloß mit der Lanze, mit welcher Judas kämpfte, die er dergestalt in die Eingeweide deiner Vaterstadt stößt, daß sie davon bersten. Hiedurch wird er nicht 3 Länder, sondern 157 Schuld und Schimpf für sich gewinnen. - - -

Tempo vegg'io non molto dopo ancoi,
Che tragge un altro Carlo fuor di Francia,
Per far conoscer meglio e se, e i suoi.
Senz' arme n'esce, e solo con la lancia,
Con la qual giostrò Giuda, e quella ponta
Si, ch'a Fiorenza fa scoppiar la pancia.
Quindi non terra, ma peccato e onta
Guadagnerà per se. - - -
XX, 70-77

Einen andern, 4 der vorher als ein Gefangener aus dem Schiffe trat, sehe ich seine Tochter verkaufen, und um sie dingen, wie Seeräuber um eine Sklavinn dingen. O Geiz, was vermagst du mehr zu thun, nachdem du mein Blut dir so eigen gemacht, daß es sein eigen Fleisch verkennet! Und damit diese, und noch zukünftige Schandthaten geringe scheinen mögen, 158 sehe ich die 5 Lilien nach Anagni ziehen, und Christum in seinem Statthalter fesseln. Ich sehe ihn zum zweytenmale verhöhnt, ich sehe wieder den Eßig und die Galle, ich sehe ihn 6 zwischen lebenden 159 Mördern getödtet. Ich sehe den neuen Pilatus so grausam, daß ihn dieses noch nicht sättigt; sondern ohne Schein des Rechts treibt er seine Habsucht bis in die Tempel. O mein Gott, wenn werde ich mich freuen, indem ich deine Rache sehe, die noch, in deinen Geheimnissen verborgen, so langmüthig scheinet!"

L'altro, che già uscì preso di nave,
Veggio vender sua figlia, e patteggiarne,
Come fan li corsar dell'altre schiave.
O avarizia, che puoi tu più farne,
Poi che hai' l sangue mio a te sì tratto,
Che non si cura della propria carne?
Perchè men paja il mal futuro, e'l fatto
Veggio in Alagna entrar lo fiordaliso,
E nel vicario suo Christo esser catto.
Veggiolo un'altra volta esser deriso:
Veggio rinnovellar l'aceto e'l fele,
E tra i vivi ladroni essere anciso.
Veggio'l nuovo Pilato sì crudele,
Che ciò nol sazia, ma senza decreto
Porta nel tempio le cupide vele.
O Signor mio, quando sarò io lieto
A veder la vendetta, che nascosa
Fa dolce l'ira tua nel tuo segreto?"
Canto XX, 79-96.

Ich habe Ihnen diese Stelle nicht nur wegen ihrer Stärke, sondern auch als einen neuen Beweis der äussersten Kühnheit vorlegen wollen, mit welcher unser Dichter die mächtigsten Personen seiner Zeit angreift. So läßt er sich auch im Paradiese von seinem Urältervater sagen, "Deine Stimme wird gleich dem Winde seyn, der die höchsten Gipfel am meisten erschüttert; und dieses, fügt er hinzu, ist kein geringes Zeichen einer grossen Seele." 160

Hierauf sieht der Dichter den ganzen Berg des Fegfeuers, wie in einem Erdbeben, zittern. Unter dieser Erschütterung hört er alle die Seelen mit einer Stimme den Lobgesang anstimmen: Gloria in excelsis Deo. Er vernimmt, daß dieses allemal geschieht, wenn eine Seele von hier in das Paradies gezogen wird. Aber welcher Seele sollte itzt wohl diese Ehre wiederfahren? Es ist Statius, der Dichter der Thebaide, der dem Virgil, den er in seinem Leben so sehr bewundert hatte, das Compliment macht, daß er durch ihn zum Dichter und zum Christen geworden wäre; und zwar zum Christen durch die berühmten Verse der vierten Ekloge, major ab integro, die er, in der Ausbreitung des Christenthums zu seiner Zeit, erfüllt gesehen hätte. Er sagt, daß Virgil ihm durch diese Verse den Dienst geleistet, den ein Mensch, der in der Nacht eine Laterne auf dem Rücken trägt, bey der er selbst nichts sieht, andern leistet, die hinter ihm gehn. Da Dante nunmehr auch bald in das Paradies kommen soll, so bleibt Statius bey ihm, um die Reise in seiner Gesellschaft zu thun. 161

Die drey Dichter setzen also zusammen ihren Weg über die sechste Anhöhe des Fegfeuers fort, auf welcher die Seelen von der Schwelgerey gereinigt werden. Virgil und Statius gehn voraus, Dante folgt hinten nach, und hört ihren Gesprächen zu, die ihm vieles Licht in der Dichtkunst geben. Auf einmal finden sie einen Baum mitten im Wege, mit wohlriechenden Aepfeln. Die Zweige werden gegen die Wurzel zu immer kleiner, "vielleicht zu verhindern, daß Niemand hinaufsteige." Aus demselben kömmt eine Stimme, die zur Mäßigkeit vermahnt. "Das erste Jahrhundert," sagt sie, "war so schön, als Gold; es machte die Eicheln durch Hunger schmackhaft, und durch den Durst jeden Bach zu Nektar." Dieser Baum steht hier zur Strafe, und zur Besserung der Seelen, die in ihrem Leben unmäßig gewesen. Durch den angenehmen Geruch seiner Früchte, und durch den Hunger gelockt, kommen sie in Menge herzu, von ihm zu kosten; aber sie bekommen nichts, als schöne Moralen. Deswegen sind sie auch äusserst mager, welches unsern Dichter anfangs 162 befremdet, weil er glaubte, daß Geister weder fett, noch mager werden könnten. Er vernimmt aber nachher, daß sie Leiber von Luft haben, welches ihm sehr gelehrt, und mit einer tiefen Kenntniß der Naturlehre, erklärt wird. Er trifft unter diesen Geistern einen Landsmann an, der bey Gelegenheit der Lobsprüche , die er seine zurückgelaßnen Wittwe giebt, in bittre Klagen wider die unverschämten florentinischen Damen ausbricht, die ihre Brüste bloß tragen. Er sieht die Zeit voraus, da es ihnen auf Pergament wird verboten werden. "Welche Barbarinn," fährt er fort, "welche Türkinn hat jemals geistliche, oder andere Disciplin nöthig gehabt, um sich den Leib zu bedecken? Aber wenn die Schamlosen wüßten, was ihnen der Himmel bereitet, so würden sie itzt schon den Mund eröffnen, zu heulen."

Già per urlare avrian le bocche aperte. (XXIII, 108.)

Diese kleine Stelle kann in der Geschichte der Moden dienen, und es ist Schade, daß der Zuschauer, in seinen gelehrten Betrachtungen über diese Gewohnheit, sich ihrer nicht erinnert hat. Dante findet nachher noch 163 verschiedne alte Bekannten, unter andern einen Marquis von Rigogliosi aus Forli, einen mächtigen Trinker, dem sein Kellermeister, aus Eifer für den guten Namen seines Herrn, einmal sagte, daß die Leute in der Stadt übel von ihm sprächen, weil er beständig tränke. Antworte du den Leuten, versetzte der Herr, daß ich beständig Durst habe. Nach diesem sieht der Dichter einen Buonaggiunta aus Lucca, einen Oden- und Sonettendichter seiner Zeit, der ihm mit grosser Begierde entgegen eilt. Entdecke mir, sagt Buonaggiunta, ob ich den grossen Dichter sehe, der das schöne Gedicht hervorbrachte: "Ihr, die ihr die Liebe kennt, o Schönen!" (eine Ode unsres Dichters an seine Beatrix.) Dante versetzt ihm: "Ich bin einer, welcher schreibt, wenn ihn die Liebe begeistert, und dasjenige auf das Papier bringt, was sie im Herzen dictiret."

- - - Io mi son un, che, quando
Amore spira, noto, e a quel modo,
Che detta dentro, vo significando.
XXIV, 52-54.

Nachdem unsre Reisenden noch vor einem Baume vorbeygegangen, der aus einem 164 Reise des verbotnen Baums gezogen worden, so bringt sie ein Engel über verschiedne Stufen auf die letzte Anhöhe des Fegfeuers, auf welcher die Unzüchtigen im Feuer gereinigt werden. Sie liegen in demselben glühend, wie Kohlen. Dante sieht hier den Guido Guinizelli, dessen ich schon erwähnt habe. Er erfreut sich nicht wenig, "seinen Vater hier zu sehen, und den Vater anderer noch besserer Dichter, die jemals sanfte, reizende Lieder der Liebe gesungen. O Bruder, versetzt ihm dieser, jener, auf den ich dir mit dem Finger zeige, (es ist Arnaldo Daniello, ein provenzalischer Dichter) "war ein besserer Werkmeister seiner Muttersprache. In Versen der Liebe, und in der Prosa der Romanen übertraf er alle." Dante ist sehr begierig, diesen schönen Geist kennen zu lernen. Er wendet sich an ihn, und sagt ihm: "Meine Begierde, deinen Namen zu wissen, bereitet ihm einen vorzüglichen Platz in meinem Herzen." Der geschickte Ausleger des Dante, von dem ich Ihnen oben gesagt habe, nennt dieses ein eckelhaftes Compliment in französischem Geschmacke, 165 welches man auf gut italienisch geben könnte: Ihr werdet mir ein Vergnügen machen, mir euern Namen zu sagen. Arnaldo versetzt hierauf, halb in provenzalischer, halb in catalonischer Sprache: "Deine leutselige Frage ist mir so angenehm, daß ich mich dir nicht verbergen kann, noch verbergen will. Ich bin Arnaldo, ich beweine hier in diesem feurigen Pfuhle meine vergangne Thorheit, und sehe schon den Tag sich nahen, auf den ich hoffe. Itzt beschwöre ich dich bey jener Kraft, welche dich auf die oberste Stufe der Leiter führet, erinnere dich meiner Qual zur rechten Zeit."

Tan m'abbelis votre cortois deman,
Chi eu non puous, ne vueil a vos cobrire.
Jeu sui Arnaut, che plor, e vai cantan
Con si tost vei la spassada folor
E vie giau sen le jor, che sper denan.
Ara vus preu pera chella valor,
Che vus ghida al som della scalina,
Sovegna vus a temps de ma dolor.
XXVI, 140-147.

Dante setzt seinen Weg durch diese Höhe weiter fort; aber die Hitze wird ihm so unerträglich, daß er sich in kochendes Wasser würde gestürzt haben, um sich abzukühlen. 166 Virgil tröstet ihn mit der angenehmen Hoffnung, daß nunmehr seine Beatrix bald kommen werde, um ihn in den Himmel zu bringen. Hierauf überfällt sie die Nacht, Dante schläft ein, und hat wieder eine Erscheinung. So bald der Tag anbricht, steigen sie auf verschiednen Stufen bis auf den obersten Gipfel des Berges, auf welchem das irdische Paradies liegt. Hier nimmt Virgil von unserem Dichter Abschied. "Du hast nunmehr, mein Sohn," sagt er ihm, "das zeitliche und das ewige Feuer gesehen, du bist an Orte gekommen, wo ich nichts mehr erkenne. Durch Witz und durch Kunst habe ich dich bis hieher gebracht, nimm nunmehr dein Wohlgefallen zum Führer; du hast die steilen und die engen Wege überstiegen. Dort siehst du die Sonne, die dir gegenüber glänzet, du siehst das Gras, die Blumen, die Bäume, welche dieses Land von sich selbst hervorbringt. - Erwarte nicht mehr meine Worte, noch meinen Wink. Dein Wille ist jetzt frey, recht und gesund; und mit diesem wäre es unrecht, nicht nach eigner Einsicht zu handeln." 167

Dante tritt hierauf in das irdische Paradies, wo er zuerst in einen überaus anmuthigen Wald kömmt. Ich will Ihnen die Beschreibung, die er davon macht, vorlegen, damit Sie auch seine Manier sehen, liebliche Gegenstände zu schildern, wovon man nicht gar zu häufige Proben in seinem Gedichte findet: "Voll Begierde, den göttlichen Wald rings umher und von innen zu besehen, dessen dickes und lebhaftes Grün meinen Augen den Glanz des neuen Tages sanfter machte, verließ ich, ohne länger zu warten, das Ufer, und gieng langsam, Schritt vor Schritt, über diese Gefilde, die von allen Seiten liebliche Gerüche von sich düften."

 

Vago già di cercar dentro e dintorno
La divina foresta spessa e viva,
Ch' agli occhi temperava il nuovo giorno,
Senza più aspettar lasciai la riva,
Prendendo la campagna lento lento
Su per lo suol che d'ogni parte oliva.
XVIII, 1-6

"Eine sanfte Luft, die sich nie verändert, schlug auf meine Stirn mit nicht mehr 168 Stärke, als ein leichter Zephyr. Vor ihr beugten sich willig die schwankenden Zweige nach der Seite zu, auf welche der heilige Berg seinen ersten Schatten wirft; aber mit einer so gelinden Bewegung, daß die Vögel, die auf ihren Spitzen sassen, nicht nachliessen, ihre reizende Kunst hören zu lassen, sondern in ungestöhrter Freude, unter ihrem Gesang, die Morgenlüfte zwischen den Blättern empfiengen, deren sanftes Gelispel in ihre Lieder stimmte. Schon hatten meine langsamen Schritte mich so tief in den alten Wald geführet, daß ich nicht mehr sehen konnte, wo ich hereingekommen war.

Un' aura dolce senza mutamento
Avere in se, mi ferìa per la fronte
Non di più colpo, che soave vento,
Per cui le fronde tremolando pronte
Tutte quante piegavano alla parte
U'la prim' ombra gitta il santo monte;
Non però dal lor esser dritto sparte
Tanto, che gli augelletti per le cime
Lasciasser d' operare ogni lor arte:
Ma con piena letizia l'ore prime
Cantando riceveano intra le foglie,
Che tenevan bordono alle sue rime.
                               XXVIII, 7 - 18.
Già m'avean trasportato i lenti passi
Dentro all'antica selva tanto, ch' io
Non potea rivedere, ov' io m' entrassi.
                                            22-24

 

169 "Und auf einmal hielt mich ein Fluß zurück, der gegen die linke Seite mit seinen kleinen Wellen das Gras niederbeugte, das an seinen Ufern keimte. Alle die reinsten Gewässer auf unserer Erde würden gegen diesen Fluß trübe scheinen, der nichts auf seinem Boden verbirgt, ob er gleich dunkel, dunkel unter einem ewigen Schatten fliesset, durch den niemals die Strahlen der Sonne, noch des Mondes dringen. Meine Füsse stunden noch fest, aber meine Augen schweiften jenseits des Flusses 170 umher, die grosse Mannichfaltigkeit der frischen Bäume zu betrachten."

Ed ecco più andar mi tolse un rio,
Che' nver sinistra con sue picciole onde
Piegava l'erba, che'n sua riva uscìo.
Tutte l'acque, che son di qua più monde,
Parriano avere in se mistura alcuna
Verso di quella, che nulla nasconde;
Avvegna che si muova bruna bruna
Sotto l'ombra perpetua, che mai
Raggiar non lascia sole ivi, nè Luna.
Co' piè ristetti, e con gli occhi passai
Di là dal fiumicello, per mirare
La gran variazion de' freschi mai.
                               XXVIII, 25-36.

"Und so wie plötzlich etwas erscheint, das durch die Verwunderung jeden andern Gedanken zerstreut, so zeigte sich mir ein einsames Frauenzimmer, welches singend dahin gieng, und die Blumen las, mit welchen der ganze Weg, den sie betrat, gemahlt war."

E là m'apparve, sì com' egli appare
Subitamente cosa, che disvia
Per maraviglia tutt'altro pensare,
Una donna soletta, che si gìa
Cantando ed isciegliendo fior da fiore,
Ond'era pinta tutta la sua via.
                                 XXVIII, 37-42.

Diese Schöne ist eine Gräfinn Mathildis, welche dem Dante so lange zur Führerinn dient, bis seine Beatrix ankömmt. Sie löst ihm allerhand Zweifel, und auf einmal sehen sie eine prächtige Erscheinung, zu deren Beschreibung der Dichter den ganzen Helikon anruft, um Dinge, die schwer zu denken sind, in Verse zu bringen, forti cose a pensar mettere in versi. Er sieht einen 171 plötzlichen Glanz von allen Seiten den Wald durchlaufen, eine süsse Melodie fließt durch die leuchtende Luft. Darauf sieht er sieben goldne Leuchter mit flammenden Kerzen, "weit heller, als der Mond, in der Mitte seines Monaths, in der Heiterkeit der Mitternacht leuchtet." Die Leuchter bewegen sich vorwärts, und lassen hinter sich die Luft, wie mit langen Pinselzügen, in sieben Reihen bemahlt, die alle die Farben hatten, "mit welchen die Sonne den Regenbogen, oder Delia ihren Gürtel färbt." Hierauf folgen vier und zwanzig Personen bey Paaren, mit Lilien bekrönt. "Alle sangen: Gesegnet seyst du in den Töchtern Adams, und gesegnet seyn deine Schönheiten." Hinter ihnen kommen vier Thiere, jedes mit sechs Flügeln beflügelt, und diese Flügel voll Augen. Der Dichter beruft sich, wegen der Beschreibung dieser Thiere, auf den Propheten Ezechiel, "der sie vom Norden unter Stürmen, Wolken, und Feuer sah." Zwischen ihnen läuft ein Wagen auf triumphirenden Rädern, von einem Greifen gezogen, dessen Glieder, so weit er ein Adler ist, von 172 Gold sind; der Theil des Körpers, den er vom Löwen hat, ist weiß und roth. Gegen den Wagen würde der Wagen der Sonne selbst arm scheinen. An seiner rechten Seite tanzen drey Frauenzimmer, welche die drey christlichen Tugenden, Liebe, Hoffnung, und Glauben, vorstellen, die eine von so brennendrother Farbe, daß man sie mitten im Feuer, kaum vom Feuer unterscheiden würde; die Glieder der andern schienen von Smaragd gebildet zu seyn; die dritte war gleich neugefallnem Schnee. Zur linken Seite des Wagens sind vier andere Frauenzimmer, (die moralischen Tugenden) alle in Purpur gekleidet; eine unter ihnen, die drey Augen am Kopfe hat, (die Klugheit) führt die andern an.

Hier haben Sie eine von den mystischen Erscheinungen unseres Dichters gesehen. Die Ausleger sind, in der Erklärung derselben, in nichts einig, ausser daß der Wagen die christliche Kirche, und der Greif, der halb Adler, halb Löwe ist, Christum und die zwo Naturen in ihm vorstellet. Diese glänzende Proceßion hält auf einmal still, einer aus der 173 Schaar fängt an zu singen: veni sponsa de Libano. Hundert andere werfen darauf von allen Seiten Blumen in die Höhe; welche den Himmel wie eine Wolke bedecken, und in dieser Wolke steigt eine Schöne, "über einem weissen Schleyer mit Oelzweigen bekrönt, und unter einem grünen Mantel in die Farbe lebender Flammen gekleidet," vom Himmel herab.

- - - dentro una nuvola di fiori,
Che dalle mani angeliche saliva,
E ricadeva giù dentro e di fuori,
Sovra candido vel cinta d'oliva
Donna m'apparve, sotto verde manto
Vestita di color di fiamma viva.
XXX, 28-33

"So steigt die Sonne, beym Anbruche des Tages, hervor, wenn der Orient ganz mit Rosen bedeckt, und der übrige Theil des Himmels mit einer schönen Heiterkeit geschmückt ist." In diesem prächtigen Aufzuge läßt der Dichter seine Beatrix, oder die himmlische Weisheit, erscheinen. Sie redet ihn in der Person derjenigen Schönen an, die er so sehr geliebt hatte, aber mit einer Mine, die ihm Ehrerbietung, mit Furcht vermischt, einprägt. Sie wirft ihm darauf 174 vor, daß er nach ihrem Tode, statt seine Seele mit der ihrigen zu dem Himmel su erheben, mit seinen Neigungen an der Erde hängen geblieben, und giebt ihm so rührende Verweise darüber, daß er die allerstärkste Zerknirschung empfindet. Er will seine Reue bezeugen. "Aber," sagt er, "wie ein Bogen zerbricht, wenn er zu heftig gespannt wird, und den Pfeil mit weniger Stärke nach dem Ziele treibt, so brach ich unter der schweren Bürde dieser Verweise, indem Seufzer und Thränen hervorströmten, und meine Stimme flog schwächer von meinem Munde."

Come balestro frange, quando scocca
Da troppa tesa la sua corda, a l'arco,
E con men foga l'asta il segno tocca:
Si scoppia' io sott' esso grave carco,
Fuori sgorgando lagrime e sospiri,
E la voce allentò per lo suo varco.
Purg. XXXI, 16-21

Es sind zween Ströme hier im Paradiese, deren einen der Dichter uns schon beschrieben hat. Dieser ist Lethe, der, wie Sie wissen, die Würkung hat, daß diejenigen, die in seine Fluthen getaucht werden, alles das Böse, was sie jemals gethan, oder gelitten haben, 175 vergessen. Beatrix läßt den Dante, nachdem er eine so wahre Reue bezeigt hat, in dieses Wasser tauchen: den andern Strom nennt er Eunoe. Seine Wasser haben die entgegengesetzte Würkung, daß sie alles das Gute, was man gethan, oder empfunden hat, auf einmal wieder ins Gedächtniß bringen. Ehe er davon kostet, sieht er die grosse Proceßion wieder aufbrechen, und bis unter den verbotnen Baum ziehen, der aller Blüthen und alles Laubes beraubt ist. Der Greif befestiget hier den Wagen mit der Deichsel an den Stamm des Baumes, und sogleich keimen alle seine Zweige mit neuem Laube. Hierauf sieht der Dichter die vornehmsten Schicksale der christlichen Kirche in einer Erscheinung, deren Allegorie, wie ich glaube, leicht zu entdecken ist. Nur will ich erinnern, daß der Riese, der zuletzt erscheinet, Philipp der Schöne ist, der anfangs mit dem Pabste, Bonifaz dem achten, genau verbunden war, aber nachher grausam mit ihm zerfiel. Der Adler bedeutet das erstemal die Verfolgungen der ersten römischen Kayser, und bey seiner zweyten Erscheinung 176 die vorgegebene Donation Constantin des Grossen. Sehen Sie nunmehr die Vision des Dichters.

"Niemals brach mit solcher Geschwindigkeit der Blitz durch eine dicke Wolke, mit der ich den Vogel Jupiters durch den Baum herabstürzen sah, indem er nicht nur die Rinde desselben, sondern selbst die Blätter und die Blüthen zerschlug. Er drückte den Wagen mit aller seiner Macht, und dieser bog sich unter ihm, wie ein Schiff im Sturme, von den Wellen überwunden, sich bald zur rechten, bald zur linken Seite beugt."

Non scese mai con sì veloce moto
Fuoco di spessa nube, quando piove
Da quel confine, che più è remoto;
Com'io vidi calar l'uccel di Giove
Per l'arbor giú, rompendo della scorza,
Non che de' fiori, e delle foglie nuove:
E ferìo' l carro du tutta sua forza:
Ond'ei piegò, come nave in fortuna
Vinta dall'onde or da poggia or da orza.
Purg. XXXII, 109-117

"Nachher sah ich einen Fuchs in den Schooß 177 des triumphirenden Wagens springen. Aber meine Führerinn, die ihm seine schändliche Verbrechen verwieß, zwang ihn zu einer schnellen Flucht. Hierauf sah ich den Adler an eben dem Orte, von dem er vorher gekommen war, zum zweytenmal in den Wagen herabfliegen, und ihn mit seinen Federn bedecken. Und vom Himmel kam eine Stimme, gleich derjenigen, die aus einem bekümmerten Herzen hervorsteigt, welche ausrief: O mein Schiff, mit welcher unglücklichen Ladung bist du beschwert!

Poscia vidi avventarsi nella cuna
Del trionfal veiculo una volpe. -
Ma riprendendo lei di laide colpe,
La donna mia la volse in - futa: -
Poscia per indi, ond' era pria venuta,
L'aguglia vidi scender giù nell' arca
Del carro, e lasciar lei di se pennuta.
E qual esce di cor, che si rammarca,
Tal voce uscì del Cielo, e cotal disse:
O navicella mia, com' mal se carca!
Purg. XXXIII, 118-129

"Hierauf schien sich die Erde zwischen beyden Rädern su eröffnen, und ein Drache kam 178 hervor, der seinen Schweif über den Wagen schlug. - Sicher, als ein Fels auf einem hohen Gebürge, sah ich eine Hure auf dem Wagen sitzen, die ihre Augen frech umherdrehte. Und, gleichsam sie zu schützen, stund ein Riese an ihrer Seite. Sie küßten von Zeit zu Zeit einander. Aber als sie ihren geilen Blick auf andere wandte, so geisselte sie dieser wilde Liebhaber vom Kopf bis auf die Füsse."

Poi parve a me, che la terra s'aprisse
Tra'mbo le ruote; e vidi uscirne un drago,
Che per lo carro su la coda fisse. -
XXXII, 130-133
Sicura, quasi rocca in alto monte,
Seder sovr' esso una puttana sciolta
M'apparve con le ciglia intorno pronte.
E come perchè non li fosse tolta,
Vidi di costa a lei dritto un gigante:
E baciavansi insieme alcuna volta.
Ma perche l'occhio cupido e vagante
A me rivolse, quel feroce drudo
La flagellò dal capo infin le piante.
XXXII, 148-157

Unter diese Geißlung versteht Dante, ohne Zweifel, das harte Verfahren des Königs von Frankreich wider den Pabst, zu Anagni, dessen er oben erwähnt hat. Damals war ihm der Pabst ein Statthalter Christi, und itzt ist er 179 ihm eine freche Hure geworden. Aber dort wollte er den König von Frankreich abscheulich machen, und dazu mußte der Pabst Christi Statthalter seyn. Man sieht wohl, daß die Leidenschaft weit mehr, als die Liebe der Wahrheit, den Dichter zu diesen Kühnheiten verleitet. Nach dieser Erscheinung wird er endlich in die Wasser des Eunoe getaucht, deren Lieblichkeit er nicht mehr beschreiben kann, weil er sonst über das Ziel schreiten würde, das er jedem Theile seiner Comödie gesetzt hat.

"Ich kehrte aus dem heiligsten Wasser zurück," sagt er, "so neugebohren, wie blühende Bäume, die durch junges Laub verneuet sind, rein, und geschickt, mich zu den Sternen zu erheben."


Anmerkungen:

1 Dante legt diesen Fluch gleichsam in einem prophetischen Geiste auf den Kayser Albert, denn er wurde von Johann, Herzog von Oesterreich, einem Sohne seines leiblichen Bruders, im Jahre 1308, ermordet.

2 Guido Cavalcanti dem Guido Guinizelli. Man sehe S. 18.

3 Er wurde Carl ohne Land gennet.

4 Carl II. König von Sicilien wurde in einem Seetreffen wider die Arragonier gefangen. Da er wieder in Freyheit kam, gab er seine Tochter dem Marggrafen von Ferrara, Azzo dem dritten, gegen einer ansehnliche Summe Geldes, zur Gemahlinn.

5 Nachdem Philipp der Schöne mit Bonifaz VIII. uneins geworden, ließ er ihn durch seine Truppen zu Anagni überfallen, und daselbst gefangen halten. Aber nach drey Tagen vertrieben die Bürger zu Anagni die Franzosen, deren nicht sehr viele müssen gewesen seyn, und setzten den Pabst in Freyheit.

6 Der Pabst wurde also nicht von den Franzosen getödtet. Man hat aber geglaubt, das er aus Gram über diese Beleidigung gestorben sey. Daher sagte man von ihm "das er als ein Fuchs in die päbstliche Würde getreten, als ein Löwe regieret, und als ein Hund gestorben, che entrò nel Ponteficato come Volpe, vi regnò come Leone, vi morì come Cane."